Dietmar Schulz (Piraten NRW) und die Sache mit dem jüdischen Friedhof und dem Staat Israel

Eigentlich habe ich gehofft mal eine Zeit lang nichts mehr über die Piraten, bzw. einzelner Mitglieder schreiben zu müssen. Auch lasse ich mir ja mit den Themen meist etwas Zeit. ich brauche nicht der Erste zu sein!
Nun vor einer Woche dies hier:

Dietmar Schulz „Twittert“ am „Volkstrauertag“ diesen Text.
Aber zum Inhalt später.
Am „Volkstrauertag“ wird seit den 50er Jahren in Deutschland den Kriegstoten und Opfern von Gewaltherrschaften aller Nationen gedacht.
Dies ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Aus der Geschichte heraus ist der „Volkstrauertag“ als Gedenktag der Gefallenen deutschen Soldaten entstanden. Nach dem 1. Weltkrieg ist dieser „Gedenktag“ vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge vorgeschlagen worden und wurde von diesem jährlich begangen. Als „Volkstrauertag“ wurde er erstmalig 1926 begangen. Die Nazis haben den Volkstrauertag dann zur Heldenverehrung missbraucht. Nach dem 2. Weltkrieg wurde dann erstmalig 1952 wieder der „Volkstrauertag“ offiziell begangen. Da man schlecht nach zweimaligen eigenen Angriffskrieg an so einem Tag „nur“ der gefallenen deutschen Soldaten gedenken kann (also sozusagen eine Art „Täterverehrung“), wurde den ganzen eine globalere Begründung vorgeschoben, eben dem Gedenken der aller „Kriegstoten“ und Opfer von Gewaltherrschaften.
Geblieben ist, das unter dem Deckmäntelchen des Volkstrauertag der heutige „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.“ die „Täterverehrung“ weiter zelebriert. Dieser Verein ist es,d er jedes Jahr im Bundestag die offizielle zentrale Gedenkstunde zum „Volkstrauertag“ im Bundestag veranstaltet.
So ist für den Verein der „Jude“ (was immer das heißen soll) nicht als Opfer von einer Gewaltherrschaft interessant, sondern „nur“ als „Deutsche jüdische Soldaten“. In der Veröffentlichung des Volkstrauertages 2011 auf der Seite des „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.“ kein Wort über die Opfer durch die Gewaltherrschaft im 3. Reich. Kein Wort über die vielen Opfer der Nazis (nicht nur deutsche -bzw. z.B. polnishce in den besetzten Gebieten- jüdischen Glaubens) nur über die gefallenen Soldaten.

In dem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob der Volkstrauertag in seiner Geschichte, vor allem in seiner Geschichte nach dem 2. Weltkrieg nicht schon Menschenverachtend und antisemitisch ist.

Da ist eine Trauerfeier auf eine Friedhof, in dem Fall ein jüdischer schon ein klares Zeichen gegen diese Kriegssoldaten-Gedenken an sich. Und da kommt dieser Twitter-Text von Dietmar Schulz schon anders herüber.

Grotesk: Gedenken der Opfer von Gewaltherrschaft und Krieg auf jüdischem Friedhof […]

(Quelle: Twitter von Dietmar Schulz)

Ja es ist durchaus Grotesk auf einen jüdischen Friedhof der Opfer der Gewaltherrschaft und Krieg auf der ganzen Welt zu gedenken. Ebenso „Grotesk“ ist es an einem „Volkstrauertag“ an alle Opfer der ganzen Welt durch Gewaltherrschaft zu gedenken. Vor allem, wenn man sich den geschichtlichen Hintergrund des „Volkstrauertag“ vor Augen hält.
Aber man muss sich nun mal entscheiden, wo und wie man allen gedenkt. So ist eine Setzung eines jährlichen Schwerpunktes und vor allem eines Gegenpols des „Völkerbundes“ nicht die schlechteste Lösung. Da stellt sich dann die Frage, wie es die anderen Jahre war und ob bei den Gedenkfeiern auch der Menschen mit fehlender Lobby gedacht wird (wie z.B. die zahlreichen Opfer unter Sinti und Romas in der deutschen Gewaltherrschaft. Oder auch die der „Kommunisten“ und „Anarchisten“ im 3. Reich, usw. usw.). Dies sind alles berechtigte Fragen.
Nun heißt es aber im 2. Teil von Schulz Twittertext wie folgt:

während Israel bombt was das Zeug hält

(Quelle: Twitter von Dietmar Schulz)

Dazu ist zu sagen, dass es kritikwürdig ist, das eine Gruppierung auf eine andere mit Waffen losgeht, egal welcher Nation diese angehören. Und es ist ebenso kritikwürdig was Israel macht, wie auch die Aktivitäten der Hamas. Beiden spreche ich persönlich das Recht ab, einfach Bomben auf Menschen der vermeindlich anderen Seite zu werfen! Ich spreche beiden Seiten ebenso das Recht ab Menschen nur wegen ihrer religiösen Einstellung, Ihrer Herkunft oder als sonstigen Gründen politisch, wie menschlich zu unterdrücken.
Und ich spreche Herrn Schulz das recht ab, zwei zeitlich, geschichtlich und räumlich getrennt von einander unabhängige Vorgängen miteinander zu verknüpfen. Und genau dies hat er gemacht. Er setzt eine Gedenkfeier auf einem deutschen Friedhof mit Deutschen einer bestimmten Glaubensrichtung mit den Taten einer Nation im Nahem Osten in Verbindung. Dies ist nicht zu akzeptieren und für einen Juristen erst recht nicht. Ob dies Antisemitisch ist, mag ich nicht zu sagen. Faschistisch ist dies in meinen Augen auf jeden Fall.
Dazu passen auch etliche Kommentare zu den Meldungen über diesen Twittertext:

Nun ja, ein wenig schwierig ist das schon.
Bezeichnet sich doch Israel selbst als „der Staat der Juden“.

(Kommentar zum Artikel bei der TAZ: Messer, Gabel, Schere, Twitter)

Der Staat Israel ist nun einmal nach der Erfahrung der Schoah gegruendet worden. Aus historischer Sicht kann die Staatsgruendung Israels in diesem Sinne nicht mit der Gruendung anderer Staaten verglichen werden. Aus meiner Sicht kann der Autor sehr wohl zwischen dem juedischen Volk und dem Staat Israel unterscheiden. Seine Aussage sollte deshalb nicht als Antisemitismus interpretiert werden, sondern als ein Hinweis auf die geschichtliche Bedeutung und der damit verbundenen Verantwortung Israels.
[…]
Vom Staat Israel koennte man erwarten, dass er aufgrund der historischen Erfahrung der Verfolgung des juedischen Volkes, keine Gebiete ausserhalb seines Staatsgebiets besetzt haelt und keine militaerischen Uebergriffe gegenueber der Zivilbevoelkerung ausuebt.

(Kommentar zum Artikel bei der TAZ: Messer, Gabel, Schere, Twitter)

[…]
Israel kann man durchaus auch als Konsequenz aus dem Massenmord an den Juden begreifen; zwar besteht, anders als zwischen den damaligen Tätern und dem Staat Deutschland, keine völkerrechtliche Beziehung zwischen den damaligen Opfern und dem Staat Israel, aber es besteht ein Beziehung im Diskurs und auch im Selbstverständnis. Und so wie wir heute lebenden Deutschen eine besondere Verantwortung haben aufgrund der Schandtaten unserer Vorfahren gegenüber den Juden, so haben auch die heute lebenden Israelis eine besondere Verantwortung aufgrund des Greuels, das ihren Vorfahren angetan worden ist.
[…]

(Kommentar -auszug- zum Artikel bei Ruhrbarone.de: NRW: Twitter, Pirat Schulz, Israel und ein jüdischer Friedhof)

Die drei Beispiele mal einfach herausgepickt. Hier wird deutlich, das es scheinbar für viele schwer ist, zwischen Glaubensbekenntnisse und der Nationalität zu unterscheiden. Ich möchte nicht wissen, wie viele der Kommentatoren sich über die fehlende Trennung von Staat und Religion im Zusammenhang mit der Beschneidungsdebatte aufgeregt haben. Ich ahbe mich darüber jedenfalls aufgeregt. Aber das hat nichts mit den „Juden“ oder „Israel“ auf der einen Seite oder dem „Islam“ und „islamreligiös geführten Staaten“ auf der anderen Seite zu tun.
Noch schlimmer ist der Quatsch mit der „historischen Verantwortung“. Die ersten Wellen der Völkerzuwanderung waren um 1880 bis 1882. Eine weitere größere Welle der Zuwanderung geschah kurz vor dem 1. Weltkrieges und kurz danach. Die letzte größere Zuwanderung kurz vor Ernennung des Israelischen Staates war dann mit dem Eindruck der Gräueltaten des 3. Reichs. Bereits 1922 war das Gebiet sozusagen „jüdisch“. Großbritannien erhielt in diesem Jahr das „Gebietsmandat“ auf Grund einer Konferenz im Jahr 1920 mit dem Ziel „Gründung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina“, ein Ziel, das bereits am 2. November 1917 in der „Balfour-Deklaration“ fest gelegt worden war. Wie man also sehen kann, ist der Staat Israel nicht das Produkt des 2. Weltkrieges, sondern das Produkt einer jahrzehntelangen Entwicklung, die dann 1947 (bzw. 1948 als parlamentarische Republik) in der Staatsgründung des heutigen Staates „Israel“ endete.

Es wäre so, als ob man die Deutschen für die Gräueltaten der deutschstämmigen Amerikaner an die Ureinwohner (Indianer) und Sklaven (Schwarze) verantwortlich machen würde, bzw. die Deutschen, die nach Amerika (oft lange vor dem 3. Reich) ausgewandert sind für die Gräueltaten in Deutschland haftbar macht. Oder wenn ich „Munich, North Dakota“ für die (Gräuel-) Taten von Strauss und Konsorten verantwortlich mache.

Nun hat Dietmar Schulz die „Irritationen“ in einem „persönlichen Blogeintrag“ bei dem Piratenportal NRW (Vorstand) eingestellt, in dem er die „Irritationen“ erklärt. Da heißt es unter anderem neben vielen anderen Erklärungen:

Dass dies und insbesondere die verkürzte Darstellung eingedenk der Wortwahl in einem Tweet auf Twitter Anlass zu Fehlinterpretationen geben konnte,

(„persönlicher Blogeintrag beim Vorstandsportal der Piraten: Erklärung zu einem Tweet mit Irritationsfolgen)

Nun, als Jurist sollte er wissen, dass man manchmal besser auf eine Äußerung verzichtet, wenn man diese nicht in der vorgegebenen Formatierung (z.B: ein „Tweet“) „irritierungsfrei“ vermitteln kann. Mit blick auf den Rest den er zu diesem Thema geschrieben hat, passt dieser Kommentar dort am besten:

Hätte es nicht einfach mal ein “Hey ich habs verkackt.” sein können?

Jetzt sind alle anderen Schuld, die dich so missverstanden haben. Wenn man Dinge nicht in 140 Zeichen unterbringen kann, was bei vielen Dingen der Fall ist, sollte man vielleicht ein anderes Medium wählen.

Ich möchte es mit einem Tweet von Klaus Peukert sagen: “Irgendwann. Irgendwann wird ein Pirat sagen “OK, das war Scheiße, tut mir leid” ohne gleichzeitig “Vorwürfe von sich zu weisen”. Irgendwann.”

(Kommentar zum „persönlicher Blogeintrag beim Vorstandsportal der Piraten: Erklärung zu einem Tweet mit Irritationsfolgen)

Besonders der zweite Teil (das Zitat von Klaus Peukert) gefällt mir dabei.
Ich glaube persönlich nämlich nicht an einer Irritation, sondern an eine nachträgliche Schadensbegrenzung. Der „Tweet“ ist meiner Meinung nach eindeutig (wie ich es oben versucht habe, meine Sicht darzustellen).
Ebenso wie ich die „Erklärung“ des Landesvorstand der Piratenpartei NRW, bei einem guten Anfang durch den (schon als „pawlowschen“ Reflex zu bezeichnenden) „aber“-Abschnitt nur noch als „Schadensbegrenzung“ sehen kann.

Grotesk ist eher der Tweet zu nennen

Am 18.11.2012 um 13:41 Uhr äußerte sich Dietmar Schulz auf Twitter wie folgt: „Grotesk: Gedenken der Opfer von Gewaltherrschaft und Krieg auf jüdischem Friedhof während Israel bombt was das Zeug hält #volkstrauertag“ [1]

Der Landesvorstand der Piraten NRW ist enttäuscht von diesem unreflektierten Verhalten. Dietmar Schulz hat in diesem Tweet unzulässig und unnötig ein historisches und aktuelle politische Ereignisse völlig unterschiedlicher Dimensionen vermengt. Wir hoffen, dass er sich lediglich missverständlich geäußert hat. Eine Entschuldigung und Korrektur ist an dieser Stelle nicht nur angebracht, sondern dringend notwendig.

Jedoch einem pawlowschen Hund gleich der Piratenpartei bzw. dessen Mitgliedern sofort wieder antisemitisches Verhalten vorzuwerfen, ist genauso unreflektiert. Die Piraten haben sich in ihrem Parteiprogramm eindeutig gegen Rassismus, kulturell begründete Diskriminierung, Antisemitismus und Islamhass positioniert. [2]

Der Landesvorstand der Piraten NRW

(Quelle: Piratenpartei NRW – Grotesk ist eher der Tweet zu nennen)

Wie war das noch mal in dem weiter oben zitierten Kommentar?
Ach ja, dort wurde folgendes Zitiert:
“Irgendwann. Irgendwann wird ein Pirat sagen “OK, das war Scheiße, tut mir leid” ohne gleichzeitig “Vorwürfe von sich zu weisen”. Irgendwann.”

bei der Erklärung des Landesvorstandes der NRW-Piraten ist es wie mit dem „Tweed“ von Schulz. Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Das Schulz einen solchen „Tweet“ geschrieben hat ist „Grotesk“ und faschistisch (im Sinne von Sippenhaft). Das irgendwelche Leute daraufhin angeblich die gesamte Partei als Antisemitisch bezeichnen sollen ist ebenso „Grotesk“ und faschistisch (im Sinne von Sippenhaft). Aber das der Vorstand es nicht schafft die verschiedenen Ebenen auseinander zu halten, wirft kein freundliches Licht auf den „Vorstand“ der Piratenpartei NRW.
Und für die Wählbarkeit einer Partei zählt nun mal nicht die Basis, sondern die Funktionäre, die für die Partei Ämter übernehmen, auf denen ich als jemand der sie (gut in NRW nicht mehr) evtl. mit rein gewählt habe keinen Einfluss mehr habe. Wenn ich mir da die verschiedensten Amtsträger in den verschiedenen Parlamenten und Vorständen ansehe, ist es so, dass die negativ auffallenden Personen (als Individuen) von mir nicht mehr als mit zu tolerierende „kleine Übel“ angesehen werden kann. Andere mögen dies anders sehen, das ist Ihnen unbenommen, wie ich auch Freunde und Bekannte habe, die der Piratenbasis zuzuordnen sind (Parteimitglieder), ja sogar ein paar Funktionäre, darunter sogar aus einem Landesvorstand (nein, nicht NRW).

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