Und Tschüss Julia Schramm (und Matthias Schrade)

Berlin, den 26.10.2012
Liebe Pirat*innen,
seit über drei Jahren widme ich meine Zeit der Partei, seit einem halben Jahr bin
ich Mitglied des Bundesvorstands. Auf diese Aufgabe habe ich mich im Vorfeld
vorbereitet, habe mir Gedanken zu den Themen gemacht, die mir wichtig sind, und
Ideen entwickelt, wie ich die Arbeit gestalten kann. Es ist eine sehr spannende
Arbeit. Auch war mir bewusst, dass dieses Amt eine große Herausforderung ist und
dass es nicht einfach werden würde.
Die Herausforderungen kamen. Die Stuhlgewitter auch. Alles etwas, womit ich
gerechnet hatte. Dass jedoch jeden Tag mehr die Anpassung meines Denkens
und Handelns an eine alte Politikervorstellung notwendig zu werden scheint, die
ich ablehne und nicht bereit bin zu vollziehen, ist ein Umstand, dem ich mich nicht
länger aussetzen möchte.
Deswegen ziehe ich mich nach dem Parteitag in Bochum aus der Parteiarbeit
zurück und werde von meinem Amt als Bundesvorstand mit sofortiger Wirkung
zurücktreten. Da in Bochum über die Frage wann der nächste Bundesvorstand
gewählt werden soll, ist es notwendig mit offenen Karten zu spielen.
à bientôt
Julia
P.S. Danke für die großartige Unterstützung von so vielen.

(Quelle: Blog Julia Schramm – Rücktritt [PDF; 19,7 KB])

Das ist auf einer PDF, die Sie auf Ihrer Homepage hinterlegt hat zu lesen.
Das erste mal lachen musste ich bei der Bemerkung, das Sie seit einem halben Jahr Mitglied des Bundesvorstandes sei und das sie sich im Vorfeld darauf vorbereitet hat. Ich habe es damals so wahr genommen, das die gute Frau Schramm sich für nur jeden erdenklichen Posten im Bundesvorstand beworben hat. Also es Ihr scheinbar egal war, ob sie mit dem Posten Ihre „Ideen“ voranbringen kann.
Der nächste Lacher von mir war bei diesem Satz:
„Dass jedoch jeden Tag mehr die Anpassung meines Denkens
und Handelns an eine alte Politikervorstellung notwendig zu werden scheint, die
ich ablehne und nicht bereit bin zu vollziehen, ist ein Umstand, dem ich mich nicht
länger aussetzen möchte.“

Hier muss ich doch ein starkes Wahrnehmungsproblem vermuten. Oder sie meint, das es schon eine Einschränkung für sie ist, wenn man es wagt sie nach ihren eigenen Aussagen zu messen. Angeblich hat sie doch diesen ihrem „Denken“ so widersprechenden Verlagsdeal gemacht, um sich ganz der Arbeit im Vorstand zu widmen. Statt dessen schmeißt Sie nun nach einem halben Jahr die ganze Sache hin.
Ich vermute (also „wilde Spekulation“!!!) ja eher, das sie so einem Rausschmiss zuvor kommen will. Sie gibt ja nicht nur die Ehrenamtliche Arbeit im Bundesvorstand auf, sie will sich komplett aus der Parteienarbeit zurückziehen. So ist das, man hat alle Vorteile mitgenommen und dann verpisst man sich. Mich würde es nicht wundern, wenn man Sie dann demnächst wieder bei der FDP sieht.

Dann hat für den nächsten Bundesparteitag Matthias Schrade seinen Abgang (er ist ebenfalls Beisitzer im Bundesvorstand) aus dem Bundesvorstand angekündigt. Dieser hat auf seiner Seite den Entschluss begründet. Ein Kern dieser Begründung ist, das für Ihn die Zusammenarbeit mit „Johannes“ (Ponader) unmöglich ist. Er will aber nicht wie Julia Schramm sich aus der Parteiarbeit zurückziehen, sondern mit diesem Schritt seine politische Arbeit an der Basis gestalten:

Unter diesen Bedingungen ist aus meiner Perspektive eine weitere sinnvolle Zusammenarbeit nicht möglich. Stattdessen werde ich mich auf produktive Parteiarbeit außerhalb des Bundesvorstandes konzentrieren.
[…]
Das Projekt “Piratenpartei” ist mir wichtiger als eine Position im Bundesvorstand.

(Quelle: Kunglers Blog – Rücktrittsankündigung)

Nun, sind die Piraten vordergründig mit Julia Schramm ein Glaubwürdigkeitsproblem los, könnte der zweite Rücktritt die Probleme der Partei im Bundesvorstand erhöhen.

Man darf gespannt sein, wie die Piratenbasis diese Zersetzung ihrer Partei aufnehmen.

in der „Zeit“ ist in einem Kommentar folgendes zu lesen:

Wie die Großen, nur fieser
Die jüngsten Rücktritte bei den Piraten zeigen: Sie führen die gleichen Machtkämpfe wie andere Parteien.
[…]
Doch blendet man diese neuen Kanäle [anmerkung: gemeint sind „neue Medien“] als Ort der Politik einmal aus, bleibt das schnöde Bild einer Parteipolitik 1.0 zurück – eines alten Politikstils also, den die Piraten doch so unbedingt überwinden wollten. Tatsächlich stecken hinter den jüngsten Rücktritten ganz klassische, erbitterte Machtkämpfe, wie man sie von den anderen Parteien schon immer kennt.

(Quelle: Zeit.de – Wie die Großen, nur fieser)

Hier irrt meiner Meinung nach der Kommentator ganz gewaltig. Nicht Machtkämpfe, wie in anderen Parteien sind hier das Problem, sondern, wie damals bei den Grünen, die schnelle persönliche Bereicherung. War dies bei den Grünen noch ein langer weg bis zur Akzeptanz, sehen bei den Piraten einige einen schnellen persönlichen Erfolg. Beispiele gibt es zu genüge. Durch die „neuen Medien“ verbreiten sich Nachrichten schneller und hier und da wird man auch schneller bekannt. Zeitungen versuchen online als erstes eine Meldung zu platzieren. täglich müssen wer weiß wieviele Talkshows gefüllt werden, da kommen solche Exoten doch gerade recht. Die versprechen Quote und die „Exoten“ sehen das Honorar, das sie dafür bekommen. Es sind auch keine Flügelkämpfe, wie in anderen Parteien, sondern es geht zum größten Teil um den rein persönlichen schnellen Vorteil.
Und das steht im Gegensatz zu den Machtkämpfen bei den „Großen“. Auch ein Ausdruck, den ich in Bezug auf die FDP nur in Anführungsstrichen setzen konnte. Hier geht es auch um den persönlichen Vorteil. Aber dort ist man sich bewusst, das dieser nur nachhaltig ist, wenn man das ganze in ein System steckt. So wird in den „Großen“ Parteien dafür gesorgt, das auch die gegnerischen Flügel innerhalb der Partei versorgt werden. Der Machtkampf gestaltet sich meist nur um die Größe des Anteils des Kuchens und nicht um den Kuchen selbst. Erst wenn es gar nicht mehr geht, werden Konsequenzen gezogen.
Selbst dann werden oft die nach außen hin Ausgegrenzten noch in einen sicheren Posten geschoben.

Dieses System fehlt bei den Piraten, da sich dort nur jeder selbst der Nächste ist. Ob dies nun positiv ist oder nicht, soll jeder für sich beurteilen. Das Problem, das die Piraten haben ist, dass die Pöstchensucher zum größten teil nach der Suche von Vorteilen sind. Entfällt dieser Vorteil, dann will man sich den Aufwand dazu auch nicht mehr antun, wie das Beispiel Julia Schramm deutlich zeigt. Für Johannes Ponader ist noch etwas zu holen. Gerade dadurch, das er Konfliktpotential für die Piraten schafft, macht Ihn für die Talk-Shows interessant und diese sind für ihn wiederum finanziell interessant. Deswegen macht er auch keine Anstalten diese Situation zu entschärfen. Ist er erst mal in keiner exponierten Stellung mehr, ist es ganz schnell mit den Talkshows vorbei und ob sein Finanzierungsmodell dann noch greift dürfte eher zu bezweifeln sein. In einer Übersicht (ob Vollständig, weiß ich nicht) sieht man sehr schön, das sich bestimmet Talk-Shows lohnen, wie z.B. bei „Lanz“: Johannesponader/Transparenzliste
Wenn man bedenkt, das er sogar als „Publikumsgast“ (ohne das er in Erscheinung getreten ist) 250 Euro plus Reisekosten bekommen hat, dann fahre ich auch gerne mal zu Lanz. Wie gesagt, schaut man sich diese Liste der Einkünfte mal an, so findet man (so weit ich das sehe) keine Einnahme, die er als „Autor, Regisseur, freier Schauspieler, Spielpädagoge sowie als Dozent in den Bereichen Schauspieltraining und Selbsterfahrung“ (seine Tätigkeiten lt. eigenen Angaben) bekommen hat.

Den Schaden hat die Piratenbasis, die gerne etwas gesellschaftlich ändern will und nicht den Hampelmann für ein paar Selbstdarsteller spielen wollen. Ob sie es wirklich noch Basisdemokratisch in der Hand haben, die Entwicklung der Partei zu bestimmen wird die Zukunft beweisen. Zu wünschen ist es Ihnen, auch wenn ich mit manchen Zielen der Partei nicht konform gehe. Aber das betrifft nicht nur die Piratenpartei.

Zu den Rücktritten ist bei Heise (Telepolis) ein Artikel erschienen, der auch einen Link zu einer Pressekonferenz des Bundesvorstandes der Piraten hat. Besonders interessant ist neben dem Seicht-Gelaber um Julia Schramm die Anmerkung zum Rücktritt von Schrade, besonders zu seiner Kritik an Johannes Ponader (ab ca. Minute 3:00).
Bedauerlich ist, das sich der Parteivorsitzende ganz im Stil anderer Parteien zu keiner inhaltlichen Äußerung festlegen. Also irgendwie doch so wie die „Großen“, wenn auch nicht mit der selben Wirkung.

P.S.
Einen netten Presseüberblick bietet Popcornpiraten in dem Artikel „Presse nach den Rücktritten: “Das Problem heißt Ponader”“

Also kann ich mir weiter weisende Links sparen. 😉

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