Ein 17jähriger wird verhaftet. Der Name ist sehr schnell im Cyber-Space zu finden.
Eine Aufgebrachte Menge findet sich vor dem Polizeirevier und fordert die Lynchjustiz für den angeblichen „Täter“.
Unter dieser Atmosphäre gibt die Polizei eine Pressekonferenz, in der Sie über angebliche Ermittlungsstände spricht. Von „dringenden Tatverdacht, von schwerwiegenden Indizien, das sich der „Verdächtige“ in Widersprüche verwickelt und das er kein Alibi hat.
Das hat dazu geführt, dass ein Boulevard-Blatt zumindest nur das für sich heraus interpretierte, was Ihm gefiel. Andere Berichteten meist etwas Sachlicher, aber die Tendenz der Berichte wurde von der Pressekonferenz beeinflusst.
Dann war es klar, der 17jährige ist (bzw. kann) nicht der Täter sein, trotz fehlendes Alibi, trotz Widersprüche, trotz affälliges Verhalten udn vor allem trotz der Zeugin, die Ihn belastet hat (ob absichtlich oder nicht sei dahin gestellt).
Ich habe kein Facebook-Account, auch sonst (fast) nichts. Ich habe persönliche soziale Kontakte. So ist der „Hype“, der sich durch die Twitter und Facebookwelt erhob an mir vorbei gegangen.
Aber wenn ich solche Zitate lesen muss, wie hier:
>>Diesen ehrenlosen herzlosen hund sollten sie foltern und töten …. Er bekommt vill 7-10 Jahre kommt dann wieder raus und darf leben obwohl er dem kleinen Engel lena das leben genommen hat…schrecklich ….. Aber das ist das deutsche rechtsSystem …. Ich hoffe sie töten dem im Knast …denn wer sowas macht verdient dass leben nicht..rip kleine lena<>Ganz ehrlich Knast ist zu wenig …er soll sterben dabei bleib ich …und hätte ich den bekommdm hätte ich ihn einen KopfSchuss gegeben…. <<
(Quelle: Law-Blog – „Das zweite Opfer“ (Kommentar #31))
Dann wird mir schlecht.
Es ist aber die typische Selbstgefälligkeit des Außenstehenden. Was haben die Davon? Eine bessere Welt? Ein bisschen mehr Gerechtigkeit? Nein, es ist einzig die Erfüllung eigener Triebe, die evtl. denen der Täter nicht mal unähnlich sind. Dies dürfte nach meiner bescheidenen Meinung nach auch letztendlich zu dem selbstgefälligen Lynchauflauf vor dem Polizeirevier geführt haben. Bestimmt auch begünstigt durch solche Facebook-Eintragungen, wie oben zitiert.
Es ist dabei zu bemerken, dass die tatsächlichen betroffenen dieses Mordes und Missbrauchs anders verhalten haben. Dies ist oft zu bemerken, da man als Betroffener wohl eher spürt, das Rache, ja selbst auch eine Strafe letztendlich keine Befriedigung gibt. Der Verlust bleibt. Dies bedeutet nicht, dass ein fassen des Täters und auch eine Strafe (diese auch entsprechend Hart) nicht ein Wichtiger Prozess für die Betroffenen zur Bewältigung des Gesamten ist. Es ersetzt aber nicht den Verlust.
Dies ist ein Unterschied, der immer wieder auffällt (wie war das mit dem Vater des Ermordeten Jugendlichen in Birmingham, der auf die Straße ging um gegen Rache zu Protestieren?). Im vorliegenden Fall scheint zumindest Einer sauer auf die wirklichen Betroffenen zu sein, dass die Betroffenen ihm nicht die Legitimation zum Ausleben seines animalischen Triebes liefern wollen:
„Feigheit von Seiten der Eltern. Anstatt dass sie mithelfen, dass solche Taten in das Licht der Öffentlichkeit gerückt werden (und so vielleicht eher verhindert werden können) üben sie sich in politischer Korrektheit und vorsichtiger Zurückhaltung, es könnte ja sein, dass man mit den „falschen Leuten“ zusammen gesehen wird. Das Kind ist zwar vergewaltigt und tot, aber wenigstens wurde man nicht als „Nazi“ bezeichnet! Menschlicher Abschaum!“
(Quelle: Law-Blog – „Das zweite Opfer“ (Kommentar #36))
Es ist nichts neues, das gerade die Betroffenen oft selbst die Zielscheibe von solch „Selbstgerechten“ werden. Sie sehen mit der Haltung der wirklichen Betroffenen ihre gefühlte Legitimation zur Rechtsbeugung gefährdet.
Gerade in der Nachbearbeitung der Massenpanik in Duisburg gab es einige Forscher, die sich mit Schwarmverhalten und Schwarmintelligenz beschäftigt haben.
Das Ergebnis, was sich für mich persönlich daraus ergibt ist, das der Ausdruck Schwarmintelligenz irreführend ist. In verschiedenen Experimenten wurde bewiesen, das Schwärme lenkbar sind. Von daher bin ich nicht der Meinung, dass der Masse die Schuld zuzuschreiben ist.
Wie war das in Duisburg?
Wäre die Situation nicht durch Panik eskaliert, hätte es wohl nicht einen einzigen Verletzten gegeben. Hier schlug das „Schwarmverhalten“ in genau dem Gegenteil um, nicht Intelligenz“, entstanden durch den „Schwarm/Masse“, sondern Kopflosigkeit, von sonst vielleicht doch eher vernünftig handelnden Einzelpersonen war das Ergebnis dieser Schwarmreaktion.
Um beim Beispiel Duisburg zu bleiben. Nicht die Panik und das dadurch entstandene Massenverhalten war das Schlimme. Schlimm war es, das trotz dem Wissen um solche Phänomene eine solche Veranstaltung dort zugelassen wurde. Es ist ja auch nicht so, dass es keine Warnung vor diesem Veranstaltungsort gegeben hat. Das trotzdem der nun endlich von den Bürgern geschasste OB Sauerland sich weigerte die politische Verantwortung zu übernehmen, war ein schlag ins Gesicht der Opfer.
Ein weiteres Beispiel war das Phänomen in Hoyerswerda und Rostock, wo ein „Schwarm“ Jugendlicher sich stundenlang in dem Rausch ausleben konnte, ihre Aggressionen gegen ein Ausländerheim freien lauf zu lassen.
Ich bezweifle hier genauso wie in Duisburg und nun in Bremen, dass wirklich jeder einzelne solch eine Handlung ohne dem Schwarm, bzw. Massenphänomen auch gemacht hätte oder auch nur angedacht hätte. Aber gerade in dem Bereich der rechten Szene wurde schon sehr früh die Wirkung von Massenphänomenen genutzt. Ich denke nicht ohne Grund wurde im Dritten Reich so gerne vor Massen gesprochen. Das sich diese Wirkung auch über Medien weiter tragen lässt, bewiesen nicht nur die Wirkungen durch die „Volksempfänger“, sondern heutzutage auch Twitter, Facebook usw.
Nun, in Rostock war es so, das die Ereignisse über Stunden gingen. Das sich das Massenverhalten so entfalten konnte, liegt wohl u.A. daran, dass die Jugendlichen sich stundenlang unbehelligt in einen Rausch steigern konnten. Anders als bei Panik-Situationen, können solche Phänomene noch gelenkt werden. Dies ist weder in Rostock noch in Bremen erfolgt. In Rostock hat dies zu einem Rauschtourismus geführt, der zuletzt mit ca. 2000 gewaltbereiten Jugendlichen vor dem Asylantenwohnheim gipfelte.
Gefördert wurde dies in beiden Fällen noch durch die „Zuschauer, die zum Teil die Aktionen mit Beifall bedachten. Dies ist auch die zweite Ebene des Massenphänomens. Die Masse, die sich bildet und die für sie stellvertretend Handelnden noch eine zusätzliche Basis liefern. Es sind diese „Es muss doch gesagt werden dürfen“. Diese feigen Sarrazins aller Couleur.
Und nun sind wir bei den Vorfällen in Bremen angelangt.
Hier zeigt sich, wie schon ein paar mal beobachtet, dass das Massenphämonen an sich nicht von einer aktuellen Menschenmasse als solches abhängig ist. Es reicht, dass sozusagen eine Massenwelle durch die sogenannten „Social Networks“ entsteht. Auch hier formieren sich wieder 2 Gruppen. Die einen, die sich aktiv in der Masse bewegen, die anderen, die außen vor stehen und applaudieren. In Hoyerswerda und Rostock waren die Applaudierenden vor Ort, in Bremen vor allem in den sozialen Netzwerken.
Das die Eskalation hier nicht so weit ging, wie Andernorts ist wohl dem Umstand zu verdanken, dass relativ schnell bekannt wurde, dass hier der Falsche beschuldigt wurde. Nein nicht offiziell von der Polizei und Staatsanwaltschaft, sondern von dem „Mob“, wie sich nun ebenso schnell viele befleißigen auszurufen.
Hätte sich die Lage anders gestaltet, z.B. ähnlich den Übergriffen auf vermeidliche Ausländer, so wäre wohl diese Art des Schwarmverhaltens nicht so schnell verpufft.
Aus meiner rein persönlichen Erfahrung sehe ich deswegen Tendenzen, die mit der sogenannten „Schwarmintelligenz“ argumentieren mit äußerster Skepsis. Auch Massenentscheidungen sind recht fragwürdig. Nicht wegen der Entscheidung an sich, sondern wegen dem Schutz des Schwächeren. Dies sollte uns eigentlich von dem Phänomen der Masse oder des Schwarmes unterscheiden. Handelt ein Fisch- oder Vogelschwarm ohne einem speziellen Führer mit einer gewissen „Schwarmintelligenz“, so geschieht dies zum Schutz der Mehrheit und nicht des Individuums. Ist ein einzelner des Schwarmes aus egal welchem Grund nicht in der Lage sich in diesem ebenso wie der Rest des Schwarmes zu bewegen, so wird dies von dem Schwarm ignoriert. Vergleichbar mit einer Gruppe, die unterwegs ist und einer der Gruppe knackst sich den Fuß. Ein Schwarm ignoriert dieses Individuum und geht als Gemeinschaft weiter, da es um den Erhalt der Spezies (hier Gruppe) als solches geht und nicht um das Individuum. Eine soziale Gemeinschaft nutzt die Gruppe zum Schutz und H9lfe des Individuum.
Scheinbar ist es aber so, dass der kleine Unterschied zwischen der individuellen Entscheidung und dem Schwarmtrieb, also den Verzicht auf Individualität in manchen Situationen ausgeschaltet wird. Dies wird leider auch oft Missbraucht.
Das der Begriff Schwarm oder Masse nicht unbedingt etwas mit vielen Menschen zu tun haben muss, kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Ich war mal Moderator in einem Forum eines Vereins. Diese Gruppe der Moderatoren, Admins und Vereinsvorstand stellte sich über die anderen. Nein nicht bewusst, sondern einfach durch Ihren internen Austausch. Jede Mitteilung an die Mods, jedes Schreiben wegen den Inhalten im Forum, ja auch jede juristische Handlung wurde unter dieser Gruppe im sogenannten Modforum besprochen. Man hatte Werkzeuge und Einblicke, die anderen, den normalen Mitgliedern udn erst recht den Usern des Forums verwehrt blieben. Es war auch für mich alles schlüssig, bis, ja bis ich erleben durfte, was eine kontroverse Meinung in einer Gemeinschaft dieser Art bedeutet. Isoliert von dem „Schwarm“ (wie ich diese jetzt mal nennen will) fielen mir dann noch weitere Dinge auf, die ich als „Individuum“ nicht gut heißen konnte, aber im Schwarm selbst mitgemacht habe. Woran es lag, das ich nun die „Schwarmintelligenz“ nicht mehr akzeptieren konnte, kann ich nicht einmal sagen. Es war auf jeden Fall so, dass ich nicht bereit war, die Informationspolitik dieser Gruppe an die Vereinsmitglieder mittragen konnte. Meiner Meinung nach hat man die Mitglieder für eine Entscheidung so tendenziös Informiert und befragt, dass die Antwort dazu schon voraussehbar war. Als ich mich dagegen gestellt habe, wurde ich aus dieser Gemeinschaft ausgeschlossen. Wohl nicht das Schlechteste, was mir Passieren konnte.
Das ich mit meinen Bedenken letztendlich recht behalten hatte, ist vielleicht eine Genugtuung, hat aber dem Verein an sich einiges an Geld gekostet.
Je mehr ich darüber nachgedacht hatte, um so mehr empfand ich, dass man sich in dieser Gruppe der Mods, Admins und Vorstand nicht mehr um die Art, sondern nur noch um das vermeintliche Ziel gekümmert hat. Also frei nach dem Motto „Der Zweck heiligt die Mittel“ oder „Wasser predigen und selbst Wein trinken“.
Nicht ohne Grund, sind meine Artikel oft verspätet. Ich will mir die Zeit nehmen, hinter den Schwarm zu schauen.
Und damit man mich nicht falsch versteht.
Das Schwarm oder Massenverhalten ist für mich keine Entschuldigung!
Meiner Meinung nach sollte jeder der Angreifer auf Ausländerwohnheime, Menschen überhaupt und auch jeder von dem sogenannten Mob in Bremen (gerecht) bestraft werden. Aber ich will mich auch nicht über diese Menschen stellen. Bin ich oder jeder Andere wirklich davor gefeilt, das er nicht irgendwann einmal in den Strudel der Masse gerät. Ist es auch immer was schlechtes? Hat Gandhi nicht auch Massen dazu bewegt sich einfach gegen eine ungerechte Unterdrückung zu stellen, oder die friedlichen Massenbewegungen gegen Apartheid in den USA und Südafrika. Martin Luther King und Nelson Mandela waren wie Gandhi Menschen, die Massen beeinflusst haben. Hier aber mal für ein positives Ziel.
Es ist wie so oft. Manchmal ist etwas Medizin, manchmal Gift.
Das Individuum hat die Verantwortung und die Haftung, dass die Giftige Wirkung keinen Platz in unserer Gesellschaft hat.
Um noch mal zum Schluss zum Massenphänomen oder dem Schwarmverhalten (von „Schwarmintelligenz“ will ich lieber nicht sprechen) zurück zu kommen. Eben die Versuche mit Fischen und auch mit Menschen haben gezeigt, dass die Reaktion des Schwarmes/Masse auch beeinflussbar ist. In der Geschichte und hier im Artikel sieht man Beispiele, wie dies negativ beeinflusst wurde (evtl. sogar in einzelnen Fällen absichtlich). Dieses Verhalten kann aber auch genutzt werden, um z.B. bei Paniken den Schwarm/Masse zu lenken. Wenn dies, anders als in Duisburg in die Planung mit einbezogen wird, kann dies bei Paniksituationen schnell zu einer Entschärfung beitragen.
Im Fall von Bremen hätte eine Lenkung im Vorfeld schon einiges verhindern können. Ein Verdächtiger ist erst mal nur ein Verdächtiger. Der darf meines Erachtens nicht so Medienwirksam abgeführt werden. Auch scheint die Entwicklung in den „Sozialen Netwerken“ die anschließende Menge absehbar gemacht haben. Hier wurde nicht entgegen gewirkt. Zuletzt die Pressekonferenz, die man nur mit sehr viel Gutwill als „nur“ missglückt bezeichnen kann.
Ich bin der Meinung, dass alle, die Massen (also wir das Volk), die Journalisten und vor allem auch die Justiz aufhören sollten schlechte Amifilme als Vorbild zu nehmen und noch weniger die noch miserableren Remakes aus unserem Lande, wie „Tatort Internet“ oder die jämmerlichen Detektivsoaps, in denen vorgegaukelt wird, das man sich hier in Deutschland wie Möchtegernrambos verhalten darf.
Leider ist zu befürchten, dass die gesellschaftliche Entwicklung weiter in Richtung des Gehirnlosen Schwarmverhaltens gehen wird.
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