20 Jahre Rostock-Lichtenhagen !?

Man, man, man, was für eine Welle überall. Bei einem bekannten lief in der Glotze auf jedem Sender ein Bericht über Lichtenhagen. Jeder, der nicht schnell genug auf den Bäumen war wurde vor ein Mikrofon gezerrt und gefragt, wie es dazu kommen konnte.

Wo ist der selbe Aufriss wegen den Brandanschlägen in Solingen und den vielen anderen Orten, in denen Fremdenfeindlichkeit auch im Westen schon vor der Wende alltäglich war? Oder waren es nur Einbildungen, das wir in den 80ern Wachen hielten, das sich Meldebüros für akute faschistische Gefährdungen bildeteten? War es nur Einbildung, wenn ich mir die Nächte um die Ohren geschlagen habe, um so etwas zu verhindern, bevor es „Jahre später“ in Rostock passierte?
War nicht noch eine „7“ vor der letzten Jahreszahl, als ich selbst erleben konnte, wie in Westdeutschland, genauer gesagt in Düren die Staatsmacht reagiert, wenn es um ausländerfeindliche Angriffe ging? Vielleicht berichte ich über das Erlebnis mal in einem Artikel meiner Serie „Classics“.

Nun, mich interessiert es nicht 20 Jahre danach, warum dies passieren konnte. Das ist nun schon bei jeder Gelegenheit durchgekaut worden.
Mich interessiert, was man gemacht hat, um dies zu verhindern? Was wurde gemacht, um solche Situationen erst gar nicht entstehen zu lassen? Was wurde gemacht, um die „Menschenwürde“ zu garantieren?

Ja das und viel mehr frage ich mich.
Und da lese ich diese Nachricht: „Ausländerfeindlicher Anschlag“ (Süddeutsche) oder auch „Brandanschlag auf Migrantenfamilie – Ausländerfeindliches Motiv in Bremen“ (TAZ).
In den Artikeln liest sich das dann so:
„Drei Männer und eine Frau sollen in Bremen einen brennenden Lappen vor das Haus einer achtköpfigen Familie mit Migrationshintergrund gelegt und ausländerfeindliche Parolen gerufen haben.“
„Die alarmierte Polizei nahm die alkoholisierten Tatverdächtigen vorläufig fest.“
Dann las man in den Berichten zumeist:
„Die Tatverdächtigen sind nach derzeitigen Erkenntnissen bisher nicht mit ausländerfeindlichen Straftaten in Erscheinung getreten.“

Nun, auch die Masse der Menschen in Lichtenhagen sind nicht vorher durch ausländerfeindliche Straftaten in Erscheinung getreten. Trotzdem hat man in beiden Fällen (und nicht nur dort) ausländerfeindliche Rufe gehört. Und wer eine brennenden Lappen irgendwo in ein bewohntes Haus wirft, so wie in Bremen passiert, der nimmt den Tod von Menschenleben zumindest in dieser Situation billigend in Kauf! Ob diese Menschen bei einem tatsächlichen Tod oder einer Verletzung von Menschen dies auch im Nachhinein ertragen hätten, ich weiß es nicht. Und es wäre auch nur billige Polemik da eine Aussage drüber zu machen.
Ebenso bei den Vorfällen in Lichtenhagen. Dankenswerterweise ging dieser Vorfall ohne ein Opfer von Menschenleben davon. Unbemerkt bleiben die traumatischen Folgen dieses Anschlags für diejenigen, die im Haus mit der Todesangst eingeschlossen waren. Dies interessiert ja auch keinen der Politiker und empörten Menschen im Land.

Ich habe mich nun durch einige Texte zu dem „Jubiläum“ gelesen. Wie sich nun die Politiker überschlagen Ihren Senf dazu zu geben. Alle diejenigen, die man vor 20 Jahren in Lichtenhagen vermisst hat. Während diese sich hinstellen und so Wortfloskeln wie „um aus den Fehlern und Versäumnissen von damals zu lernen“ (Gauck) von sich geben, muss das Verfassungsgericht der Regierung deutlich machen, dass auch für Asylanten das Recht auf eine menschenwürdige Existenz besteht. Während eben jener von Personsnschützer umgebene Gauck zu den Nazis zuruft „Wir fürchten euch nicht!“ müssen Menschen in Bremen um Ihr Leben fürchten.

Es ist nicht der Lichtenhagener, der Schuld ist an dieser Situation, es ist das, was die Piraten angeblich als Steuerungsmittel hochstilisieren wollen, die sogenannte „Schwarmintelligenz“. Es ist immer die Sicherheit der Gruppe oder Masse, die es zu solchen unverständlichen Situationen kommen lassen kann. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um Rechte, Linke, Fußballfans oder Besoffene handelt. Nicht die Lichtenhagener machen mir Angst. Mir machen diejenigen Angst, die jetzt als „Gast“ oder „anonym“ in den Kommentaren schreiben, dass die Situation damals unerträglich war, das die Politik nicht auf Anzeichen reagiert hat, das …
Ja, diese wenn es nicht so oder so gewesen wäre, dann wäre es auch nicht so weit gekommen.
Diese sind es nämlich, die eine Wiederholung einer solchen Situation möglich machen.
Und sei es „nur“ als Fan im Fußballstadion, weil wenn der Schiri nicht, dann …

Es ist die individuelle Rechtfertigung, die mir Angst macht. Das typische „Der Zweck heiligt die Mittel“. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein „Nazi“ nicht ebenso traurig ist, wenn einer seiner Nächsten stirbt, wie der nächste Angehörige dessen, dessen Kopf dieser gerade einschlägt. Mal rein Hypothetisch dahin gestellt. Um für sich dies zu Rechtfertigen, dazu bauen sich alle Ideologien ein Gebilde auf, das einen über andere Erhebt. Diese Ideologien werden dann ausgenutzt, um den Schwarm zu lenken. Es gibt keine „Schwarmintelligenz“, das zeigt nicht nur Lichtenhagen oder auch die Katastrophe von Duisburg, sondern nur den Verlust der Individualität in der Masse. Gerade die Forschungen, die wegen der Schwarminteligenz gemacht wurden zeigen dies. Eines der aktuellsten Beispiele von negativen Schwarmverhalten war der Lynchmop in Emden gewesen, wo man einen Unschuldig als Täter verhafteten in Polizeigewahrsam lynchen wollte (Siehe auch hier: Das Gesetz der Masse, Schwarmintelligenz und die Suche nach dem Schuldigen – Emden im Fokus der Öffentlichkeit).

Was ist mit den ganzen Medien, die jetzt mit Ihrem Mikros alle Lichtehagener belästigen, die sich notgedrungen auf die Straße begeben müssen?
Dem Bürgern wird mit Formaten wie „Tatort Internet“ (oder wie hieß dieses verlogene Prangerformat mit der Gattin des Lügners Guttenberg damals), die eine Verfolgung von vermeintlichen Tätern ausgelöst hatte, oder die ganzen „Detektiv-Formate“ nach Ami-Vorbild, in denen jede Art von Persönlichkeitsrechte und Grundrechte von Menschen missachtet werden suggeriert, dass dies „Normal“ sei.
Ja solange sich der Staat die „neutrale Justiz“ und „Hoheit“ von Menschen aus der Hand nehmen lassen, wird sich nichts ändern.

Ich verurteile, was in Lichtenhagen passiert ist. Ich verurteile nicht die Lichtenhagener. Wohl aber verurteile ich diejenigen, die nun die Vorgänge mit der „Situation“ erklären oder entschuldigen wollen. Und ich verurteile diejenigen, die nicht die „neutrale Handlungsfähigkeit“ sichern wollen, sondern solche Vorgänge für Ihre eigenen subjektiven Interessen verwenden wollen, von Gauck bis zu der kleinsten „braunen Socke“ (frei nach Pispers).

Nun, die Veranstaltung mit Gauck zeigt, dass Intoleranz und Schwarmdummheit weiter bestehen. Da wird mit Gewalt ein Tranzparent, auf dem Steht „Rassismus Tötet“ entfernt. Andersdenkende werden angegriffen. Ein Lehrstück der Lernwilligkeit in Deutschland und der Massenphänomene.
Da werden in Kommentare die Gewalt von Linksradikalen mit denen von Rechtsradikalen aufgerechnet. Was ich sehe ist, dass die (angebliche) linksterroristische Bekämpfung mit gleichwohl härteren Bandagen durchgeführt wurden, als die derzeitige verfolgung von (angeblich) rechtsterroristischen Taten. Ich kann mich nicht erinnern, bei Bekämpfungen des angeblichen Linksterrorismus zu lesen war, das ein „mutmaßlicher Sympatisant und Waffenbeschaffer“ wieder vorläufig auf freien Fuß gestellt wurde. Wer als verdächtiger angeblicher Unterstützung von Linksterroristen in Haft kam, der musste sich durch alle möglichen gerichtlichen Instanzen begeben, um wieder ungefilterte Luft zu schnuppern.
Das „angeblich“ deswegen, weil ich Gewalt gegen Menschen nicht als politisch ansehen kann. Es ist feige und nicht mit irgendetwas zu entschuldigen.

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