Es ist an sich schon erstaunlich, kurz nach dem Anpfiff des EM-Halbfinale mit deutscher Beteiligung wird ein Gesetz verabschiedet. Noch erstaunlicher, dass man für die 2. und 3. Aussprache sowie für die Abstimmung über das Gesetz gerade mal 57 Sekunden braucht.
Es hätte so schön sein können. Im Innenausschuss hat man mal schnell einen wesentlichen Teil des Gesetzes geändert. Alles hätte so schön sein können, wenn sich diese Änderung dank einiger aufmerksamer Bürger nicht wie ein Lauffeuer verbreitet hätte.
Nun will es keiner gewesen sein.
Noch Erstaunlicher ist, was ich in der „Finacial Times Deutschland“ (FTD) lese. In einem Artikel vom 9.7.2012 um 12:06 wird noch informativ über dieses Ereignis geschrieben. Eben auch wegen den Verlinkungen zu den entsprechenden weiteren Quellen mag ich eigentlich die Artikel von der FTD ganz gerne.
Um so erstaunlicher fand ich, was ich in einem Artikel gleichen Datums von 13:08 Uhr, also rund eine Stunde später geschrieben, lesen musste. Der Titel sagte noch nicht viel aus:
„Die Kehrtwende macht es nicht besser“
Dem konnte ich noch zustimmen, die Kehrtwende, die durch die Veränderung des Gesetzes durch den Innenausschuss erfolgte ist macht es wahrlich nicht besser.
Aber das ist in dem „Leitartikel“ gar nicht gemeint. In den Leitsätzen vor dem Artikel leist man folgendes:
Die 180-Grad-Wende der Regierung signalisiert ein eigentümliches Demokratieverständnis: Die Länder sollen das unliebsame Gesetz stoppen. Dabei stehen die Bürger mit der alten Version sogar noch schlechter da.
(Quelle: FTD – Die Kehrtwende macht es nicht besser)
Es heißt also, das die Bürger, wenn das Meldegesetz durch den Bundesrat gestoppt wird schlechter da stehen?
Da muss man ja richtig gespannt sein, wie der „Leitartikel“ dies begründet:
Doch abgesehen davon. Es ist auch sachlich unfair, der schwarz-gelben Koalition nun willentliche Begünstigung von Adresshandel zu unterstellen. Seit sie im Bundestag das neue Meldegesetz beschloss, ist die Aufregung darüber auffallend größer als das Detailwissen.
(Quelle: FTD – Die Kehrtwende macht es nicht besser)
Aha, der Bürger, die Datenschützer und die Kritiker haben also keine Ahnung? Das reicht natürlich als Begründung? Nun, man ist aber so gnädig, dem Leser zu Erklären, warum ein Verhindern des neuen Gesetzes so schlecht für den Bürger ist:
Tatsächlich hat die Koalition ja mit dem neuen Gesetz sogar das Melderecht verschärft. Wer einen Blick in das derzeitige Melderechtsrahmengesetz (Paragraf 21) wirft, der findet dort eine viel weitergehende Freigabe zur Weitergabe von Adressen – ohne dass die Bürger je darüber von Behörden informiert wurden oder sie Einspruch einlegen durften. Die jetzt beschlossene Widerspruchsregelung ist demgegenüber ein deutlicher Fortschritt.
(Quelle: FTD – Die Kehrtwende macht es nicht besser)
Nun, das Widerspruchsrecht ist Besser als das derzeitig geltende Regelungen. Was mir als erstes auffällt, dass der §21 des Melderechtsrahmengesetz nicht mit einem Link unterlegt ist, wie im Gegensatz dazu der (vom Innenausschuss geänderte) Entwirf des neuen Meldegesetzes.
Ich bin in dem oberen Text über den von mir hervorgehobenen Textteil gestolpert, in dem bei der FTD behauptet wird, dass es im derzeitigen Melderechtsrahmengesetz der Bürger keinen Einspruch gegen die Weitergabe einlegen dürfe.
Sehen wir uns doch mal ausschnittsweise den §21 des Melderechtsrahmengesetz an:
§ 21 Melderegisterauskunft
(1) Personen, die nicht Betroffene sind, und anderen als den in § 18 Abs. 1 bezeichneten Stellen darf die Meldebehörde nur Auskunft über Vor- und Familiennamen, Doktorgrad und Anschriften einzelner bestimmter Einwohner übermitteln (einfache Melderegisterauskunft). Dies gilt auch, wenn jemand Auskunft über Daten einer Vielzahl namentlich bezeichneter Einwohner begehrt.
[…]
Ein automatisierter Abruf über das Internet ist nicht zulässig, wenn der Betroffene dieser Form der Auskunftserteilung widersprochen hat. Die der Meldebehörde überlassenen Datenträger oder übermittelten Daten sind nach Erledigung des Antrags unverzüglich zurückzugeben, zu löschen oder zu vernichten. § 8 Abs. 2 Satz 2 gilt entsprechend. Die Einzelheiten des Verfahrens regeln die Länder.
(2) Soweit jemand ein berechtigtes Interesse glaubhaft macht, darf ihm zusätzlich zu den in Absatz 1 genannten Daten eines einzelnen bestimmten Einwohners eine erweiterte Melderegisterauskunft erteilt werden über
[…]
(Quelle: Gesetze im Internet – Melderechtsrahmengesetz / §21 [Auszug])
Was ist das, es gibt doch tatsächlich ein Widerspruchsrecht, wenn auch zugegebener weise in einem recht bescheidenen Umfang. Aber es kommt noch besser. Bei der FTD wird behauptet, das der Bürger nach derzeit geltenden Gesetz nicht über Datenauskünfte informiert wird („ohne dass die Bürger je darüber von Behörden informiert wurden“), was sich aber eben im §21 des Melderechtsrahmengesetz ganz anders liest:
Die Meldebehörde hat den Betroffenen über die Erteilung einer erweiterten Melderegisterauskunft unter Angabe des Datenempfängers unverzüglich zu unterrichten; dies gilt nicht, wenn der Datenempfänger ein rechtliches Interesse, insbesondere zur Geltendmachung von Rechtsansprüchen, glaubhaft gemacht hat.
(Quelle: Gesetze im Internet – Melderechtsrahmengesetz / §21 [Auszug])
Also „muss“ der Bürger bei einer erweiterten Datenauskunft nach geltendem Gesetz sogar benachrichtigt werden, außer es liegt ein rechtliches Interesse vor, das dies nicht geschieht. Dies steht im übrigen ungefähr auch so im BDSG (Bundesdatenschutzgesetz) unter §16. Womit wir auch schon zum wesentlichen im Zusammenhang mit dem derzeit gültigen Melderechtsrahmengesetz kommen.
Während in dem Leitartikel der FTD das Widerspruchsrecht im neuen Entwurf als „Weiterentwicklung“ angepriesen wird, enthält dieses -wenn überhaupt- nur die Mindestanforderungen an den rechten, die dem Bürger schon jetzt durch das BDSG und höchstrichterliche Entscheidungen zustehen. Auch Heute muss eine Behörde einen getätigten Widerspruch beachten.
Im Gegenteil, durch die Hintertür, dass trotz Widerspruch ein Abgleich (angeblich) vorhandener Daten ermöglicht wird, ist es ein klarer Rückschritt.
Das sieht der Leitartikel der FTD natürlich anders:
Dem Bürger wäre allerdings auch nicht nicht gedient, wenn SPD und Grüne im Bundesrat das neue Gesetz im Herbst einfach blockieren. Denn dann gilt weiterhin die alte Regelung, die den Adressabruf bei Behörden gar nicht begrenzt.
(Quelle: FTD – Die Kehrtwende macht es nicht besser)
Was die FTD dabei übersieht, dass das Bundesverfassungsgericht die „informationelle Selbstbestimmung“ schon vor Jahrzehnten als wichtiges Gut angesehen. Der prominenteste Fall war der Richterspruch zur Volkszählung. Einer der Leitsätze dazu heißt:
„Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Einschränkungen dieses Rechts auf „informationelle Selbstbestimmung“ sind nur im überwiegenden Allgemeininteresse zulässig.“
Noch deutlicher fasst es der Datenschutzbeauftragter von Schleswig-Holstein das Urteil zusammen:
So viel Freiheit wie möglich und so viel Bindung wie nötig.
(Quelle: Datenschutzbeauftragter v. Schleswig-Holstein – Informationelle Selbstbestimmung – Was bedeutet das?)
Allein durch diese gängige Rechtsmeinung haben die Einwohnerämter bisher Widersprüche beachtet (soweit man es beweisen kann). Und schaut man sich das angeblich so bessere „neue Meldegesetz“ an, dann ist dieses nicht besser, als das bestehende, sondern schlechter.
Statt das die Ämter nach der derzeitigen Rechtsauffassung bei einem Widerspruch gegen die Weitergabe diese befolgen, gibt es bei dem „neuen Meldegesetz“ das Schlupfloch, dass die Meldeämter den „Abgleich“ von vorhandenen Daten auch trotz einem Widerspruch (natürlich gegen Gebühr) durchführen sollen.
Mal abgesehen, dass dies meiner persönlichen Meinung nicht durch das GG gedeckt ist und bei einer Verfassungsbeschwerde gekippt werden würde, ist man mit diesem in dem Meldegesetz eingearbeiteten Hintertürchen bei weitem nicht besser dran, als bei dem derzeitigen Status.
Aber auch hier weiß die FTD zu erklären, warum das „neue Meldegesetz“ so wie es nun geändert durchgewunken wurde so wichtig sei:
Es gibt auch durchaus gute Gründe für die jetzige Regelung, dass Unternehmen in jedem Fall ihnen vorliegende Adressdaten überprüfen dürfen. So gibt es nicht wenige Menschen, die sich ihren Zahlungsverpflichtungen entziehen wollen, indem sie sich ummelden oder falsche Adressananagaben machen.
(Quelle: FTD – Die Kehrtwende macht es nicht besser)
Auch hier verzichtet die FTD darauf, darauf hinzuweisen, das die Kritik „nur“ den Bereich der „Einfache Melderegisterauskunft“ (§44) betrifft.
§ 44 Einfache Melderegisterauskunft
(1) Wenn eine Person zu einer anderen Person oder wenn
eine andere als die in § 34 Absatz 1 Satz 1 „oder § 35“ bezeichnete
Stelle Auskunft verlangt, darf die Meldebehörde nur Aus-
kunft über folgende Daten einzelner bestimmter Personen
erteilen (einfache Melderegisterauskunft):
1. Familienname,
2. Vornamen,
3. Doktorgrad und
4. derzeitige Anschriften sowie,
5. sofern die Person verstorben ist, diese Tatsache.
Sofern die Daten für einen gewerblichen Zweck verwendet
werden, ist dieser anzugeben.
„Sofern die Daten für Zwecke der Werbung oder des Adresshandels
verwendet werden, sind diese anzugeben.“
„Die betroffene Person hat das Recht, der Übermittlung ihrer Daten zu
den in Satz 2 genannten Zwecken zu widersprechen; sie ist auf dieses
Recht bei der Anmeldung nach § 17 Absatz 1 sowie einmal jährlich
durch ortsübliche Bekanntmachung hinzuweisen.“
(2) Absatz 1 gilt auch, wenn Auskunft über Daten einer
Vielzahl von Personen verlangt wird.
(3) Die Erteilung einer einfachen Melderegisterauskunft
ist nur zulässig, wenn
1. die Identität der Person, über die eine Auskunft begehrt
wird, auf Grund der in der Anfrage mitgeteilten Anga-
ben über den Familiennamen, den früheren Namen, die
Vornamen, das Geburtsdatum, das Geschlecht oder eine
Anschrift eindeutig festgestellt werden kann, und
2. die Auskunft verlangende Person oder Stelle erklärt, die
Daten nicht zu verwenden für Zwecke
a) der Werbung oder
b) des Adresshandels,
es sei denn die betroffene Person hat in die Übermittlung
für jeweils diesen Zweck eingewilligt.
2. im Falle einer Angabe gemäß Absatz 1 Satz 2 die betroffene Person
der Übermittlung für jeweils diesen Zweck nicht widersprochen hat.“
„(4) Es ist verboten, Daten aus einer Melderegisterauskunft zu Zwecken
der Werbung oder des Adresshandels zu verwenden,
1. ohne dass ein solcher Zweck gemäß Absatz 1 Satz 2 bei der Anfrage
angegeben wurde, oder
2. wenn die betroffene Person gegen die Übermittlung für jeweils diesen
Zweck Widerspruch eingelegt hat.
Dies gilt nicht, wenn die Daten ausschließlich zur Bestätigung oder
Berichtigung bereits vorhandener Daten verwendet werden.“
(Quelle: Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode; Drucksache 17/7746; Seite 20 und das Protokoll der Beschlussfassung mit den Änderungen durch den Innenausschuss)
Ich habe mal das was bei der ursprünglichen Druckvorlage entfernt wurde durchgestrichen und was noch schnell geändert wurde (Als Ersatz für gestrichenes oder zusätzliche Ergänzungen) unterstrichen eingefügt.
Man erkennt dort, das die ursprüngliche Einwilligung (Absatz „(3)“; Punkt „2.“ –> „es sei denn die betroffene Person hat in die Übermittlung für jeweils diesen Zweck eingewilligt“) nicht nur durch das Verlangen des Widerspruchs ersetzt wurde, sondern eben auch in dem komplett neuen Absatz (4) die Ausnahme „Dies gilt nicht, wenn die Daten ausschließlich zur Bestätigung oder Berichtigung bereits vorhandener Daten verwendet werden.“
Ebenso, wie es in der jetzigen gültigen Melderechtsrahmengesetz eine Meldeauskunft bei berechtigtem Interesse gibt, ist die im §45 des „neuen Meldegesetz“ auch weiterhin so vorgesehen:
§ 45
Erweiterte Melderegisterauskunft
(1) Soweit ein berechtigtes Interesse glaubhaft gemacht
wird, darf zu den in § 44 Absatz 1 genannten Daten einzel-
ner bestimmter Personen eine erweiterte Melderegisteraus-
kunft erteilt werden übern
[…]
(2) Die Meldebehörde hat die betroffene Person über die
Erteilung einer erweiterten Melderegisterauskunft unter An-
gabe des Datenempfängers unverzüglich zu unterrichten;
dies gilt nicht, wenn der Datenempfänger ein rechtliches In-
teresse glaubhaft gemacht hat, insbesondere zur Geltendma-
chung von Rechtsansprüchen.
(Quelle: Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode; Drucksache 17/7746; Seite 20)
Man sieht die Auskünfte aus „Geltendmachung von Rechtsansprüchen“ ebenso weiter möglich sind, wie es bisher auch so war und es tangiert die Einwilligung (oder derzeit Widerspruch) nicht.
Man kann sich also Fragen, wer den Druck (oder anders genannt „Lobbyarbeit“) auf die Zeitung ausgeübt hat, das diese ein solch tendenziösen und inhaltlich verdrehten „Leitartikel geschrieben haben, gerade mal eine Stunde nach einem anderen ausgewogeneren Artikel?
Ebenso scheint man beim FTD die Mechanismen der Gesetzeszustimmungen nicht zu kennen oder man will hier auch den Bürgern eine düstere Vision vorgaukeln.
Zum einen ist eine Ablehnung des Gesetzes nicht das Ende jeder neuen (und hoffentlich vernünftigeren) Gesetzgebung in dem Bereich. Zudem kann das Gesetz vom Bundesrat abgelehnt werden und der Bundesrat kann dazu seine Kommentare inkl. Änderungsvorschläge der Ablehnung zufügen. Zudem geht das Gesetz dann in eine neue Runde über den Vermittlungsausschuss und ist damit nicht ins Nirwana verschwunden, wie es die Zeitung einem glauben machen will. Im Vermittlungsausschuss gibt es dann die Möglichkeit ein Gesetz nachzubessern oder wie in diesem Fall bestimmten Schwachsinn wieder rückgängig zu machen.
Also noch jede Möglichkeit, Fehler wieder zu beheben.
Und da die Regierung ja selbst schon sagt, das sie das Gesetz so gar nicht haben wollten, dürfte der Vermittlungsausschuss ja ein leichtes Spiel haben. Außer auch dies ist wieder Augenwischerei!
Links:
– Finacial Times Deutschland: Umstrittener Datenhandel | Bundesregierung beerdigt verschärftes Meldegesetz
– Finacial Times Deutschland: Entwurf zum Meldegesetz | Die Kehrtwende macht es nicht besser („Leitartikel“)
– Gesetze im Internet: Melderechtsrahmengesetz)
– Bundesdatenschutzbeauftragter: Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nur auf der Grundlage eines Gesetzes, das auch dem Datenschutz Rechnung trägt (Volkszählungsurteil) (BVerfG)
– Datenschutzbeauftragter v. Schleswig-Holstein: Informationelle Selbstbestimmung – Was bedeutet das?
– Spiegel: Streit über Meldegesetz | Plötzlich sind alle Datenschützer
– Spiegel: Die 57 Sekunden der Aussprache und Verabschiedung des Meldegesetz (Achtung mit vorgeschalteter Werbung!)