Ein Urteil des Kölner Landgericht und eine Horde aufgeregter Religionsfunktionäre

Eins Vorne weg, es geht nicht um Religion und was dort Richtig und Falsch ist. Und dass hier die Beschneidung von Mädchen und Frauen nicht vorkommen, ist keine Ignoranz oder Befürwortung, sondern ist dem Urteil geschuldet, das sich auf eine bisher in Deutschland (im Gegensatz zur Mädchenbeschneidung) juristisch geduldeten Jungenbeschneidung bezieht.

Seit einigen Tagen gibt es Aufregung in Deutschland. Das Landgericht Köln hat in einem Urteil das Grundrecht auf die „körperliche Unversehrtheit“ über das Grundrecht auf „Religionsfreiheit“ gestellt.
Soweit die Aussage, wenn man das Geschwätz der Religionsfunktionäre und Religionseiferer verfolgt.
Dies ist aber soweit nicht Richtig. Das Gericht hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit eines Kindes höher angesetzt als die Religionsfreiheit der Eltern!
Das zum Ersten. Es geht hier in der Entscheidung also nicht um die Religionsfreiheit des Kindes, sondern die der Eltern, das sollte man sich zuerst einmal vor Augen führen. Die nächste Frage ist, haben die Eltern das Recht wegen „Ihrer“ Religionsfreiheit ein Kind unnötigerweise körperlich zu beschädigen?
Ich weiß „beschädigen“ hört sich nicht gerade menschlich an. Aber wie ist das? Darf ein Fahrer eines Feuerwehrauto ein etwas ungünstig parkendes Fahrzeug (und damit auch ohne Beschilderung falsch parkendes Auto) einfach rammen? Ich wäre gespannt über die Antwort von vielen Lesern. Es kommt nämlich einfach nur auf die Situation an. Fährt der Fahrer „nur“ gerade zu einer Inspektion, dann nicht. Handelt es sich aber um einen Einsatz, bei dem zu Befürchten ist, das Menschen gefährdet sind, dann darf er das Fahrzeug auch mit Gewalt beiseite schieben (Natürlich nicht willkürlich, wenn es eine vertretbare andere Alternative gibt).
Zurück zur Religionsfreiheit. Der Gesetzgeber hat neben der positiven Religionsfreiheit (also der Zugehörigkeit zu einer Religion) auch die negative Religionsfreiheit (also die Nichtzugehörigkeit zu einer Religion) sicher gestellt. Da auch religiöse und moralische Erziehung und Ausbildung ein wesentlicher Bestandteil der freien Religionsausübung/-wahl ist, hat der Gesetzgeber nicht konsequenter Weise die freie Religionsausübung an einer bestimmten Altersgrenze gebunden, wie es sonst in vielen anderen Dingen ist (z.B. Strafmündigkeit), sondern schon recht früh den Bürgern sich für eine freie Wahl einer (positiven, wie negativen) Religionszugehörigkeit ausgesprochen. So darf jeder Bürger sich theoretisch mit 14 Jahren frei entscheiden, ob und zu welcher Religion er gehören will. Wenn man bedenkt, welch ein tiefer Einschnitt dies in die Rechte der Eltern bedeutet, gerade vor dem Hintergrund, dass ansonsten Eltern Kindern in diesem Alter noch so ziemlich alles Vorschreiben können.
Auf der anderen Seite zeigt es auch auf, welches hohe Gut eben die Religionsfreiheit für das Individuum in Deutschland einnimmt. Das ist auch gut so, egal was ich oder andere von einzelnen Religionen oder Glaubensgemeinschaften im allgemeinen so halten.
Führt man sich dies vor Augen, so ist die Entscheidung des Kölner Landgerichtes nur zu begrüßen. Es ist ein Meilenstein für die Wahrung der Religionsfreiheit.

Der Zentralrat der Juden sprach so auch direkt unverständlicher Weise von einem Einschnitt der Religionsfreiheit.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland sieht im Urteil des Landgerichts Köln, das die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen als Körperverletzung bewertet hat, einen beispiellosen und dramatischen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften.

(Quelle: Zentralrat der Juden – Zum Urteil des Kölner Landgerichts zur Beschneidung von Jungen)

Und hier sieht man direkt auch der gedankliche Fehler dieser Argumentation. Die Freiheit der „Religionsgemeinschaften“ ist hier nicht Thema sondern die Religionsfreiheit des Individuums in Verbindung mit seinem Recht auf körperliche Unversehrtheit. Eine Gemeinschaft darf gerne die Zugehörigkeit mit (legalen) Ritualen verknüpfen.

Die Beschneidung von neugeborenen Jungen ist fester Bestandteil der jüdischen Religion und wird seit Jahrtausenden weltweit praktiziert.

(Quelle: Zentralrat der Juden – Zum Urteil des Kölner Landgerichts zur Beschneidung von Jungen)

Das kann man ebenso sehen, wie im Mittelalter, dass alle Untertanen von Fürsten automatisch Katholiken oder Evangelisch waren. Deswegen gibt es ja immer noch eher katholische und evangelische Gebiete in Deutschland und nicht etwa, weil sich diese Bevölkerung kollektiv für eine Glaubensrichtung entschieden haben.

Die Aussage stützt sich wohl auf die Genesis-Schriften in der Tora:

Gott sprach zu Abraham: Du aber, du wahre meinen Bund, du und dein Same nach dir in ihre Geschlechter. Dies ist mein Bund, den ihr wahren sollt, zwischen mir und euch und deinem Samen nach dir: Beschnitten unter euch sei alles Männliche. Am Fleisch eurer Vorhaut sollt ihr beschnitten werden, das sei zum Zeichen des Bundes zwischen mir und euch. Mit acht Tagen soll alles Männliche unter euch beschnitten werden, in eure Geschlechter, Hausgeborner und von allirgend Fremdem um Geld Erworbner, der also nicht deines Samens ist, beschnitten werde, beschnitten dein Hausgeborner und dein Gelderworbner, mein Bund sei an eurem Fleisch zum Weltzeit-Bund. Ein vorhautiger Mann aber, der am Fleisch seiner Vorhaut sich nicht beschneiden läßt, gerodet werde solch Wesen aus seinen Volkleuten, meinen Bund hat er gesprengt.

(Quelle: Genesis 17, 9 – 14)

Im Alten Testament nach der Luther-Übersetzung liest sich dies so:

Und Gott sprach zu Abraham: So halte nun meinen Bund, du und dein Same nach dir, bei ihren Nachkommen. Das ist aber mein Bund, den ihr halten sollt zwischen mir und euch und deinem Samen nach dir: Alles, was männlich ist unter euch, soll beschnitten werden. Ihr sollt aber die Vorhaut an eurem Fleisch beschneiden. Das soll ein Zeichen sein des Bundes zwischen mir und euch. Ein jegliches Knäblein, wenn’s acht Tage alt ist, sollt ihr beschneiden bei euren Nachkommen. Beschnitten werden soll alles Gesinde, das dir daheim geboren oder erkauft ist. Und also soll mein Bund an eurem Fleisch sein zum ewigen Bund. Und wo ein Mannsbild nicht wird beschnitten an der Vorhaut seines Fleisches, des Seele soll ausgerottet werden aus seinem Volk, darum daß es meinen Bund unterlassen hat.

(Quelle: 1. Mose – Kapitel 17; 9-14)

Es ist nicht von Religion die Rede, sondern einem „Bund“ und nimmt man den letzten Satz in beiden Schriften (die Verstoßung/Ausrottung des Unbeschnittenen aus dem Volk) ein „Völkerbund“. Dies hat also nichts mit Religion zu tun, sondern ist eine Tradition aus einem Völkerbund heraus. Hier greift also das rufen nach der Religionsfreiheit nicht. Auch wird hier deutlich, das ein Zwang vorgesehen ist, da alle im „Haushalt“ lebenden, auch z.B. Sklaven beschnitten werden sollen. Es liegt also keine Freiheit, geschweige denn Religionsfreiheit vor.

Da nahm Abraham seinen Sohn Ismael und alle Knechte, die daheim geboren, und alle, die erkauft, und alles, was männlich war in seinem Hause, und beschnitt die Vorhaut an ihrem Fleisch ebendesselben Tages, wie ihm Gott gesagt hatte. Und Abraham war neunundneunzig Jahre alt, da er die Vorhaut an seinem Fleisch beschnitt. Ismael aber, sein Sohn, war dreizehn Jahre alt, da seines Fleisches Vorhaut beschnitten ward. Eben auf einen Tag wurden sie alle beschnitten, Abraham, sein Sohn Ismael, und was männlich in seinem Hause war, daheim geboren und erkauft von Fremden; es ward alles mit ihm beschnitten.

((Quelle: 1. Mose – Kapitel 17; 23-27)

Gerade die Umsetzung dieses „Gebotes“ zeigt, das es hier nicht um „Glauben“ oder „Religion“ ging. Es wurden alle, egal ob Sohn oder Leibeigener (=Sklave) gekennzeichnet. Das Abraham dabei lt. Bibel schon 99 war und sein Sohn 13 war für den Völkerbund kein Problem. Auch scheint der Glaube nicht Maßstab dieser Handlung zu sein, da sonst nicht „alle“ männlichen Bewohner des Hauses Abraham beschnitten wurden, sondern auch die nicht zur Familie gehörenden Männer im Haus.
Das Gott auf Grund seinen Worten nicht ein Absolutismus verlangt kann man wenige Kapitel später nachlesen:

Gott sprach: Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst, Isaak, geh in das Land Morija und bring ihn dort auf einem der Berge, den ich dir nenne, als Brandopfer dar.
Frühmorgens stand Abraham auf, sattelte seinen Esel, holte seine beiden Jungknechte und seinen Sohn Isaak, spaltete Holz zum Opfer und machte sich auf den Weg zu dem Ort, den ihm Gott genannt hatte.
[…]
Abraham nahm das Holz für das Brandopfer und lud es seinem Sohn Isaak auf. Er selbst nahm das Feuer und das Messer in die Hand. So gingen beide miteinander.
[…]
Als sie an den Ort kamen, den ihm Gott genannt hatte, baute Abraham den Altar, schichtete das Holz auf, fesselte seinen Sohn Isaak und legte ihn auf den Altar, oben auf das Holz. Schon streckte Abraham seine Hand aus und nahm das Messer, um seinen Sohn zu schlachten. Da rief ihm der Engel des Herrn vom Himmel her zu: Abraham, Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. Jener sprach: Streck deine Hand nicht gegen den Knaben aus und tu ihm nichts zuleide! Denn jetzt weiß ich, dass du Gott fürchtest; du hast mir deinen einzigen Sohn nicht vorenthalten.

(Quelle: 1.Mose 22; 2ff)
Nimmt man also diese Textstelle aus der gleichen Schrift, in der eine Glaubensgemeinschaft das recht heraus liest, Kinder zu beschädigen, scheint es so, das der Gott der Juden und Christen ein sehr unsicherer Gott war und sich seiner Gläubigen nicht sicher war. Er hat Sie zum einen „Markiert“ (ähnlich dem Schmiss bei Studentenverbindungen oder Tätowierungen bei anderen Völkern) durch Beschneidung und „geprüft“, bzw. seine Anweisung (des Opfers) widerrufen lassen. Auf der anderen Seite kann man daraus auch eine vermeintlich humanitäre Einstellung dieses Gottes heraus lesen. Er verzichtet auf das Opfer in dem Wissen, das er von Abraham, als Vater des „markierten“ Volkes gefürchtet wird, also Macht über Ihn hat. Soviel Macht, das er nicht nur seinen Kindern Schmerzen und Verstümmlung zufügt, nein auch bereit ist diese für Ihn zu Töten.
Das dies nach diesen Schriften eine Entwicklung darstellt, kann man sehen, wenn man die Geschichte des „markierten“ Volkes weiter verfolgt, so heißt es auch im 2. Buch Moses:

Und Gott redete alle diese Worte:
Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus dem Diensthause, geführt habe. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.
Du sollst dir kein Bildnis noch irgend ein Gleichnis machen, weder des, das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden, oder des, das im Wasser unter der Erde ist. Bete sie nicht an und diene ihnen nicht. Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifriger Gott, der da heimsucht der Väter Missetat an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied, die mich hassen; und tue Barmherzigkeit an vielen Tausenden, die mich liebhaben und meine Gebote halten.
Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht mißbrauchen; denn der HERR wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen mißbraucht.
Gedenke des Sabbattags, daß Du ihn heiligest. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle dein Dinge beschicken; aber am siebenten Tage ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes; da sollst du kein Werk tun noch dein Sohn noch deine Tochter noch dein Knecht noch deine Magd noch dein Vieh noch dein Fremdling, der in deinen Toren ist. Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der HERR den Sabbattag und heiligte ihn.
Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf daß du lange lebest in dem Lande, daß dir der HERR, dein Gott, gibt.
Du sollst nicht töten.
Du sollst nicht ehebrechen.
Du sollst nicht stehlen.
Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.
Laß dich nicht gelüsten deines Nächsten Hauses. Laß dich nicht gelüsten deines Nächsten Weibes, noch seines Knechtes noch seiner Magd, noch seines Ochsen noch seines Esels, noch alles, was dein Nächster hat.

(Quelle: 2. Buch Moses Kapitel 20; 1-17)

Durch die 10 Gebote, die Moses empfangen hat (bzw. die Worte, die Gott zu dem „markierten“ Volk gesprochen hat) wurden weitere Änderungen in den Regeln des „markierten“ Volkes vorgenommen. So relativiert er, der Gott seine vorherige Kompromisslosigkeit auf eine Bestrafung bis zu 4 Generationen („den Kindern bis in das dritte und vierte Glied“). Und er stellt moralische Grundsätze auf, die er scheinbar für sein Volk für notwendig hielt. Das zur gleichen Zeit bereits die gesamte Welt mit Völkern besiedelt waren, die ebenfalls auf Basis moralische Wertesysteme, zum Teil seit Jahrhunderten bestanden, wirft ein nicht gerade gutes Licht auf das Volk.

Trotz allen Suchens konnte ich keinen Hinweis auf Beschneidung im Koran entdecken, erinnere mich auch nicht in dieser solches gelesen zu haben.
In einer Sammlung von Schriften über die Aussagen und Taten des Propheten Mohammed kann man mehrere Stellen lesen. Dabei handelt es sich immer um Berichte von „Abu Huraira“ in dem er über die angeblichen Worte von dem Propheten berichtet. So z.B. so:

Abu Huraira, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete, daß der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Friede auf ihm, sagte: „Abraham, Allahs Friede auf ihm, vollzog für sich die Beschneidung, als er im Alter von achtzig Jahren war, und bediente sich dazu der Axt.“ [BUCHARI:780]

(Quelle: „Die Beschneidung im Islam“, Referat gehalten von Cédric Poyet)
und:

Abu Huraira, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete, daß der Prophet, Allahs Segen und Friede auf ihm, sagte: „Zur Fitra (bei Erschaffung des Menschen) gehören fünf Dinge: Die Beschneidung, das Abrasieren der Schamhaare, das Kurzschneiden des Schnurrbarts, das Schneiden der (Finger- und Fuß-) Nägel und das Auszupfen der Achselhaare.“ [BUCHARI:1216]

(Quelle: „Die Beschneidung im Islam“, Referat gehalten von Cédric Poyet)

Nach weiteren Recherchen kann ich nur zu dem Schluss kommen, dass die Beschneidung allein auf angebliche Worte des Propheten, die durch jene „Abu Huraira“ überliefert wurden. Im Koran selbst, der Schrift die dem Propheten Mohammed von Gott/Allah ins Herz geschrieben wurde, findet sich dazu nichts.
Auch wird hier die Praxis der Beschneidung der Vorhaut in den Ländern/Gebieten unterschiedlich gehandhabt. Es scheint dabei aber einhellig zu sein, dass es im Islam keine Vorschrift über den Zeitpunkt der Beschneidung gibt. So werden je nach Gebiet von Säuglingen, wie auch bei Jungen zwischen 7 und 10 Jahren Beschneidungen durchgeführt. Einen Religiösen Grund dafür, eine Beschneidung vor der Entscheidungsmündigkeit des zu Beschneidenden vorzunehmen gibt es nicht, ebenso wie man je nach Glaubensauslegung (da der Koran nichts von einer Beschneidung verlauten lässt) auch ein Muss der Beschneidung nicht unbedingt erkennen kann.

Die Christen spalten sich hier ebenfalls. Ein Teil der Christen (z.B. Koptisch-Orthodoxe Kirche und Äthiopisch-Orthodoxe Kirche) führt Beschneidungen durch, wobei sie sich dabei eben wieder auf das Alte Testament mit dem Buch Moses beziehen, in dem Abraham die Beschneidung von Gott befohlen wurde. Andere Christen führen keine Beschneidung durch und beziehen sich dabei auf Aussagen von Petrus, der von einer Beschneidung des Herzens spricht, also einer „geistigen“ Beschneidung (oder einfacher gesagt, dem „Glauben“). Eine weitere Textstelle ist im „Evangelium nach Thomas“ zu finden:

Seine Jünger sprachen zu ihm: „Nützt die Beschneidung oder nicht?“
Er sprach zu ihnen: „Wenn sie nützte, würde ihr Vater sie beschnitten aus ihrer Mutter zeugen. Aber die wahre Beschneidung im Geiste hat vollen Nutzen gehabt.“

(Quelle: Evangelium nach Thomas (53))

So weit also der Hintergrund der „traditionellen“ Beschneidungen. Bei den Juden die „Völkerzugehörigkeit“ und bei den Moslems auf Grund der überlieferten Worte eines Zeitgenossen von dem Propheten Mohammed. Die Christen, die Beschneidungen durchführen setzten nach dem Alten Testament somit den „Vökerbund“ zwischen dem Auserwählten Volk und Gott weiter. Eine religiöse Begründung der Beschneidung ist damit in meinen Augen ebenfalls nicht begründet.

Dann gibt es noch medizinische Begründungen einer Beschneidung.
Neben Vorhautverengungen, werden oft angeblich geringere Gebärmutterkrebserkrankungen bei Frauen für eine medizinische Entfernung der Vorhaut angegeben. Angeblich soll die WHO (Weoltgesundheits Organisation) auch die Vorhautentfernung zur AIDS-Vorsorge empfehlen. Diese soll die Infektionsgefahr auf 66% verringern.
Aber eins nach dem anderen.
Die angebliche Vorhautverengung kann bei Säuglingen noch gar nicht diagnostiziert werden, da die Vorhaut noch mit der Eichel verwachsen ist. Auch ist es inzwischen so, dass wirkliche Vorhautverengungen oft durch Dehnung mit entsprechenden Salben und kleine Einschnitte in der Vorhaut behoben werden können. Die Zahl der wirklich notwendigen Entfernungen der Vorhaut sind inzwischen nur noch selten medizinisch notwendig.
Angeblich soll eine entfernte Vorhaut die Erkrankungswahrscheinlichkeit von Gebärmutterkrebs bei Frauen verringern. Dabei geht es darum, dass beschnittene Männer weniger von den „Humanen Papillomavirus“ befallen seien, das unter anderem Gebärmutterhals- sowie Peniskrebs auslösen kann. Fest zu halten ist, das eine entsprechende Hygiene und entsprechende Aufklärung die Gefahr ebenso und besser behebt, als eine Beschneidung, die eine Infektion verringert, aber nicht behebt!
Das Beschnittene Männer angeblich eine geringere HIV-Infektion (AIDS) haben wie beschnittene ist erst mal erstaunlich und die Zahlen dazu sind laut Focus „10,2 Prozent“ bei Beschnittenen und „22 Prozent“ bei unbeschnittenen Männern. Das ist die eine Zahl, spannend ist was danach dort steht:

Bei der weitaus größeren Gruppe, die nicht wusste, ob ihr Sexualpartner HIV-positiv war, war der Unterschied in der Infektionsrate statistisch nicht bedeutsam (2,5 Prozent gegenüber 3,3 Prozent).

(Quelle für alle Zahlen zur HIV-Infektion und Zitat: FOCUS Online – Beschneidung bremst Viren)

Also bei der weit aus größeren Gruppe der Sexualpartner, bei denen ein Partner HIV-Positiv war, der Andere dies aber nicht wusste, war die Infektion bei beiden recht gering.
Ich würde sagen, dass hier einfach das Gehirn ausgesetzt hat. Wenn mein Partner (Egal, ob nun Homo oder Hetero) oder ich HIV-Infiziert ist, dann schütze ich mich, egal ob Ich nun Beschnitten bin oder nicht. Und Liebt mein Partner mich, bzw. ich Ihn, dann achtet er auch darauf, das man sich beim Sex schützt. Die Zahlen zeigen in meinen Augen nur, dass die Partner miteinander erstaunlich unverantwortlich umgehen.
Als Beispiel nehmen wir mal die Autofahrer. Angenommen in einer innerstädtischen Straße wären alle Beschränkungen aufgehoben. Die Autos dürfen so Schnell wie sie Wollen fahren und man braucht nicht angeschnallt zu sein. Man stellt fest, dass bei Unfällen XX% Fußgänger Sterben und XX% Autofahrer. Bei Studien stellt man fest, das Autofahrer, die sich trotz aller Freiheiten angeschnallt haben bei Unfällen prozentual weniger oft sterben als bei Unfällen mit nicht angeschnallten Fahrern. Also regelt man nun, dass Autofahrer sich anzuschnallen haben. Das dies aber dem Fußgängern nichts hilft, wird ignoriert. Diese sterben weiterhin wie gehabt, aber stolz verkündet man, das die Sterblichkeit auf dieser Straße um XX% zurück gegangen ist. Sorgt man statt dessen für eine vernünftige Verkehrsführung und auf alle Verkehrsteilnehmer angepasste Regeln, so kann man die Unfälle und auch die Sterblichkeit um ein vielfaches senken.
Die WHO empfiehlt angeblich die Beschneidung von Männern zur HIV-Präsentation. Mal abgesehen, dass damit keine Infektion verhindert werden kann, sondern nur das Lotteriespiel einer Infektion zu Gunsten der Nichtinfizierten verschoben wird, hat sich die WHO nicht einfach für eine flächendeckende Beschneidung ausgesprochen. In der Mitteilung zu dem Thema Beschneidung und HIV heißt es ausdrücklich:

Male circumcision has strong cultural connotations implying the need also to deliver services in a manner that is culturally sensitive and that minimizes any stigma that might be associated with circumcision status. Countries should ensure that male circumcision is provided with full adherence to medical ethics and human rights principles, including informed consent, confidentiality, and absence of coercion.

(Quelle: WHO – WHO and UNAIDS announce recommendations from expert consultation on male circumcision for HIV prevention)

Was frei übersetzt ungefähr dies hier heißt:

Männliche Beschneidung hat starke kulturelle Konnotationen impliziert die Notwendigkeit, auch für Leistungen in einer Weise, die kulturell sensitiv ist und dass minimiert die Stigmatisierung, die mit der Beschneidung Status verbunden sein können liefern. Die Länder sollten sicherstellen, dass männliche Beschneidung bei voller Einhaltung der medizinischen Ethik und Prinzipien der Menschenrechte, einschließlich der Einwilligung nach Aufklärung, Vertraulichkeit und Abwesenheit von Zwang wird zur Verfügung gestellt.

Der von mir hervorgehobene Satz zeigt eindeutig, dass es hier nicht um Beschneidungen an Säuglingen oder Kindern geht, sondern ohne Zwang und mit Einwilligung (also dementsprechend auch der Befähigung der Einwilligung) des zu Beschneidenden geschehen soll.
Das dieser vermeintliche Schutz nur ein Weg ist, macht auch nach der Veröffentlichung dieser Empfehlung der Direktor für die Abteilung HIV/AIDS der WHO klar:

„Aber selbst wenn zur Beschneidung gute neue Daten kommen, ist es wichtig zu sagen, dass das kein kompletter Schutz ist“, sagte Kevin De Cock, Direktor der WHO-Abteilung für HIV/Aids. Die Beschneidung müsse immer von anderen Schutzmaßnahmen wie zum Beispiel Kondomen begleitet werden.

(Quelle: Stern – Beschneidung soll vor HIV schützen)

Mit dem Hintergrund dieser Aussage ist auch der Titel des Stern-Artikels irreführend („Beschneidung soll vor HIV schützen“), da die Beschneidung nicht vor HIV „schützt“, sondern „nur“ die Infektionsgefahr verringert.
Ein altes Chinesisches Sprichwort heiß frei aus dem Gedächtnis zitiert:
„Gebe einem Hungernden einen Fisch, so wird er einen Tag satt.
Lehre einem Hungernden Fischen, so wird er täglich satt.“

Übertragen heißt das, lehre den Menschen, die sich Infiziert haben oder in der Gefahr einer Infizierung stehen, die richtige Handlung, so bringt dies wohl mehr als alle Beschneidungen. In diesem Fall halt auch noch die Mittel, also Kondome.

Zu guter Letzt werden gerne „optische Gründe“ für eine Beschneidung herangezogen. Dabei klammert man sich an eine Studie aus Amerika die besagt, dass angeblich 3/4 der Frauen (Mütter kurz nach der Geburt eines Sohnes, 1988 in Iowa) eine beschnittenen Penis „natürlicher“ empfunden haben. Zum einen lag die Zahl der befragten Frauen bei 269, was für eine repräsentative Umfrage etwas zu gering sein dürfte, und es war auch nur eine bestimmte Zielgruppe (Frauen, die gerade einen Sohn geboren hatten) und was gerne von denjenigen, die diese Studie anführen vergessen wird zu erwähnen, dass von diesen 269 Frauen nur 22% der Frauen schon sexuelle Erfahrung mit unbeschnittenen Penissen hatten. Wie viele vorher überhaupt schon einen unbeschnittenen Penis gesehen hatten, ist nicht bekannt. Schließlich war die Umfrage im Jahr 1988 in dem prüden Amerika erfolgt. es kann also getrost gesagt werden, das diese Umfrage alles andere als Repräsentativ ist.
Bei den angeblich gesundheitlichen und kosmetischen Vorteilen ist fest zu halten, dass diese für Säuglinge und Kinder nicht von Relevanz sind, da diese noch nicht (freiwillig) sexuell aktiv sind.

Ich habe mir extra die Mühe gemacht, die Hintergründe der Beschneidungen in verschiedenen Religionen zu ergründen, da dies ja das Argument bezüglich der Beschneidungen ist, das im Grundgesetz verankerte Recht auf Religionsfreiheit. Auch dieses Grundrecht selbst habe ich versucht für mich zu beleuchten.

Mein Fazit ist, dass ich keine „religiösen“ Gründe für eine Säugling- oder Kindesbeschneidung finden konnte. Somit ist eigentlich das Recht auf Religionsfreiheit nicht betroffen. Im Gegenteil für die Säuglinge und Kinder wird so das Recht auf Religionsfreiheit noch gestärkt, da diese nicht durch Fremdentscheidungen schon körperlich beeinflusst/markiert werden.
Das Grundrecht auf Religionsfreiheit im Grundgesetz ist nach meinem Verständnis ebenso wie das Recht auf Unversehrtheit ein Individualrecht, somit hat es mit Traditionen und Handlungen von Religionsgemeinschaften nichts zu tun, wie ich schon bei der Reaktion des Zentralrates der Juden weiter oben bemerkt habe.

Mir ist unverständlich, wieso die Moslems sich über dieses Urteil empören. Nach dem was ich gelesen habe, gibt es im Islam keine religiöse Begründung, für eine Säuglings- oder Kindesbeschneidung. Demnach ist eine Beschneidung auch noch möglich, wenn der Gläubige diese Entscheidung selbst treffen kann.

Im Judentum bezieht man sich auf die (angebl. Überlieferten) Worte von Abraham, die dieser von Gott erhalten haben soll. Wird ein Säugling zu Früh geboren oder ist es Krank geboren, wird der achte Tag ab der Genesung, bzw. der entsprechenden Kräftigung des Säugling berechnet. Bedenkt man, das Abraham selbst bei seiner Beschneidung je nach Schrift mindestens 80 Jahre alt war, kann man hier auch eine andere Interpretation finden. Jüdische Kinder können erst am religiösen Leben teilnehmen, wenn sie an der „Bar Mitzwa“ teilgenommen haben. Dann gelten sie als Religionsmündig und dürfen an den Gebeten teilnehmen. Dies ist in der Regel mit ca. 13 Jahren. Das bedeutet Symbolisch, dass erst hiermit der Junge in die Religionsgemeinschaft geboren wird und ein vollständiges Mitglied ist. Konsequent ist es auch diese jüdische Religionsmündigkeit als Maßstab für die Beschneidung zu nehmen. Mal abgesehen davon, dass ich 13 Jahre persönlich immer noch für zu früh halte, ist der Junge in dem Alter eher in der Lage selbst eine Entscheidung zu treffen.
Christen, die Beschneidungen vornehmen, sollten vor dem selben Problem stehen. Nicht die Taufe oder die Geburt macht die Säuglinge oder Kinder zu „Christen“. Erst die Firmung oder Konfirmation beendet die Aufnahme in die Religionsgemeinschaft. Dementsprechend ist auch eine Beschneidung erst dann (wenn sie von der Glaubensgemeinschaft gefordert ist) sinnvoll und nachvollziehbar. Besonders, da die Christen nicht durch Ihre „Volkszugehörigkeit“ an dieses Ritual gebunden sind. Es dürfte sogar die leicht ironische Frage gestellt werden, ob ein nicht als dem „jüdischen Volk“ zugehörig geborener nicht erst dann dem „Völkerbund“ zugehörig sein kann, wenn er als Sklave bei einer jüdischen (von Volk her) Familie beschnitten wird.
In diesem Rahmen sei auch erwähnt, das ich persönlich die Säuglingstaufe für falsch und pervers halte. Verschiedene Freikirchen sehen dies auch so und erkennen diese Säuglings-/Kindstaufe nicht an. Diese verlangen dann von demjenigen, der Ihrer Kirche beitreten will eine neue Taufe und Taufen auch Ihre Kinder erst, wenn diese es selbst entscheiden können. Dies entspricht auch dem, was die Bibel über Jesus und seinem Lebensweg berichtet. Auch er lässt sich erst als Erwachsener von Johannes taufen, im vollen Bewusstsein, was er macht und eines seiner Bekanntesten Aussprüche lt. dem Neuen Testament ist:
„Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn solcher ist das Reich Gottes. Wahrlich ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kindlein, der wird nicht hineinkommen. Und er herzte sie und legte die Hände auf sie und segnete sie.“ (Markus Kapitel 10; 14-16)
Jesus stellte also fest, dass die Kinder auch so das Reich Gottes erworben haben, also ohne Taufe oder anderen Riten. Kinder, noch unschuldig und unbelastet durch Ihr bewusstes Tun sind die Vorbilder derer die Gottes Reich erlangen wollen, so steht es hier. Also erst durch das Bewusstsein des Handelns entsteht die Notwendigkeit der „Religion“ und der „Sühne“. Demnach können Kinder noch gar keiner Religion oder Kirche angehören, wenn man als Christ die angebl. Worte Jesus ernst nimmt. Von daher ist die Säuglings- oder Kindstaufe in meinen Augen ein religiöser mumpitz.

Bleiben noch die medizinischen und kosmetischen Gründe.
In Zeiten, wo Aufklärung und Hygiene die Gefahr auf fast 0 (wir halten Fest, die Beschneidung verhindert die gesundheitlichen Risiken nicht, sondern verringern nur die Anzahl der Erkrankten/Infizierten) setzen kann, ist die aufklärende Prävention weit aus effektiver, als das angeblich vorbeugende Beschneiden. Zu dem sind die gesundheitlichen Aspekte alle erst mit dem Beginn der sexuellen Aktivitäten von Interesse und es gibt in meinen Augen kein Grund dafür, dass man die Männer nicht erst dann entscheiden lässt, ob sie sich lieber Hygienisch verhalten und sinnvolle Schutzmaßnahmen ergreifen oder ob Sie das etwas besser zu Ihrem Gunsten stehende Lotteriespiel nach einer Beschneidung spielen wollen. (ich hoffe, der Leser erkennt die Ironie des letzten Satzes)
Natürlich kann es auch einen ästhetischen oder kosmetischen Grund für eine Beschneidung geben. Da aber Schönheit und das ästhetische Empfinden etwas höchst persönliches ist, ist es hier noch wichtiger, dass diese Entscheidung von dem Betroffenen frei und nach seinem rein persönlichen ästhetischen Empfinden getroffen wird oder sonstigen Gründen, die für Ihn maßgeblich sind.

Manchmal kommt bei als Begründung, das es sich ja „nur“ um einen minimalen Eingriff handelt und dieser für die Babys angeblich weniger Schmerzlos sei. Diese Behauptung, das es „nur“ ein minimaler Eingriff sei spricht ja erst recht dafür, dass es geschieht, wenn der Betroffene dies bewusst selbst entscheiden kann. Ich habe mal miterlebt, wie ein Kleinkind (noch nicht in der Lage zu Sprechen) reagierte, das sich schwer die Hand an einer Herdplatte verbrannt hat. Das Schmerzempfinden, das ich in den nächsten Wochen beobachten konnte widerspricht der These, das Säuglinge und Kleinkinder weniger Schmerzen empfinden. Bloß weil es seinen Schmerzen keine Worte geben kann, bedeutet es nicht, das ein Säugling nicht auch Schmerzen empfindet, besonders in einem Bereich, wo viele Nerven enden. Ich empfinde solche Behauptungen für eine Anmaßung. Inzwischen wissen wir ja auch, das selbst Pflanzen auf bestimmte Reize reagieren. Auf Reize, die uns Schmerzen bereiten würden, wie z.B. Hitze (Feuer) reagieren Pflanzen oft heftig und gestresst.

Alles in Allem fand ich bei meinen Recherchen keinen Grund, warum man mit einer Beschneidung nicht warten kann, bis die Person bewusst selbst darüber entscheiden kann, ob oder ob es sich nicht Beschneiden lässt.

Einen Grund gibt es wohl, die für Beschneidungen oder Riten im Allgemeinen spricht. Das ist die Macht der Gemeinschaft über das Individuum. Das dies wohl eines der Kernpunkte ist, mach die schnelle Stellungsnahme der „deutschen Bischofskonferenz“ deutlich. Die Römisch-katholische Kirche ist als Religion nicht betroffen, fürchtet aber wohl den Verlust von Einfluss auf Staat und Gesellschaft. Die hier heuchlerisch geforderte „Religionsfreiheit“ ist in meinen Augen nur die Angst vor Machtverlust. So haben die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland noch eine Machtposition, die der gesellschaftlichen Entwicklung nicht gerecht wird. Deutlich wird diese Sonderstellung bei den noch weitgehenderen Missachtungen von Individualrechten als „Tendenzbetrieb“, die die Kirchen im Gegensatz zu anderen „Tendenzbetrieben“ (z.B. Gewerkschaften oder Parteien) für sich ungestraft herausnehmen.

Diese „Machtansprüche“ von Religionsgemeinschaften über das Individuum sind (meiner Meinung nach) aber nicht mit dem Individualrecht des Grundgesetzes auf Religionsfreiheit gedeckt.

Gegen Gehirnwäsche in den verschiedensten Formen und Intensitäten kann man Kinder nicht oder nur unvollkommen schützen, aber wohl vor der körperlichen Unversehrtheit, damit die Religionsfreiheit auch wirklich gesichert ist.
Von daher ist das Urteil des Landgerichtes Köln zu begrüßen und mit der Bewertung dass das Recht auf körperliche Unversehrtheit höher als das Grundrecht auf Religionsfreiheit zu bewerten ist, hat das Gericht gerade das Individualrecht auf Religionsfreiheit gestärkt.
Das die Stärkung des „Individualrecht“ den „Gemeinschaften“ nicht schmeckt, sollte bei den Überlegungen und Entscheidungen nicht maßgeblich sein. In diesem Sinne sehe ich dies als ein notwendiges und richtiges Urteil.

Anmerkung:

Ursprünglich wollte ich den Titel „Ein Urteil des Kölner Landgericht und eine Horde aufgeregter Sektenfunktionäre“ nennen. Ich habe davon Abstand genommen, da ich befürchte, das viele den Unterschied von Sekte und dem was allgemein von den „Kirchen“ (die streng genommen eben auch Sekten sind) und Staat als solches bezeichnet wird, wie auch die Abgrenzung zum Fundamentalismus nicht ziehen würden.
Dies wurde mir deutlich, als ich im Netz mal wieder von „Antisemitisch“ und „Nazi-Richtern“ im zusammenhang zu dem Urteil lesen musste. Ebenso gehe ich auf solche Dinge nicht ein.
Wohl aber verlinke ich auch auf Artikel/Blogbeiträge, die ich persönlich nicht befürworte, aber für eine umfangreiches Meinungsbild und das Aufzeigen von Argumentationen (oder aus meiner Sicht den Versuch der Stimmungsmache) wichtig erachte. Dabei sind auch einige Artikel/Blogbeiträge, auf die ich im Text kein Bezug genommen habe. Auch habe ich auf Erfahrungsberichte verzichtet, die mit Beschneidungen zusammen hängen (wie der Bericht einer Mutter, die sich von einem Arzt übertölpelt gefühlt hat und einer Beschneidung des Säuglings zugestimmt hatte und über Ihren Eindruck der Qual des Säuglings berichtet). Diesen Humanen Aspekt habe ich bewusst heraus gelassen und nur mal Kurz im Bezug auf das angebliche geringere Schmerzempfinden von Säuglingen angeschnitten.
Mir ging es einzig um die angeblichen religiösen Einschnitte durch diese juristische Entscheidung, die ich wie bereits mehrfach geschrieben nicht sehe.

Nachtrag:
Die internationale Betrachtung der Vorgänge sind für mich auch interessant. Nach meiner Meinung decken auch internationale Vereinbarungen das Urteil von Köln.
Auf der EU-Basis gibt es die „Charta der Grundrechte der europäischen Union“, die die Grundrechte innerhalb der EU regelt.
Dort heißt es im Artikel 3:

Artikel 3
Recht auf Unversehrtheit
(1) Jeder Mensch hat das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit.
(2) Im Rahmen der Medizin und der Biologie muss insbesondere Folgendes beachtet werden:
a) die freie Einwilligung des Betroffenen nach vorheriger Aufklärung entsprechend den gesetzlich
festgelegten Einzelheiten,
[…]

(Quelle: Charta der Grundrechte der europäischen Union)

Hier wird wieder eindeutig das Recht des Menschen auf Unversehrtheit bestätigt. Weiter heißt es in der Charta zur Religionsfreiheit:

Artikel 10
Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
(1)
Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht
umfasst die Freiheit, die Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion
oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst,
Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen.

(Quelle: Charta der Grundrechte der europäischen Union)

Hier wird noch deutlicher, als im deutschen Grundgesetz, dass die Religionsfreiheit hier explizit auf die Person und nicht auf eine Religionsgemeinschaft bezogen ist. Die Charta stellt auch klar, dass der Mensch die Freiheit hat „einzeln“ oder „gemeinsam“ auch die Bräuche und Riten auszuüben. Dies bedeutet aber, das eben jener Mensch auch in der Lage sein muss diese freie Entscheidung zu treffen. Dies ist bei Missachtung des Rechts auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, wie z.B. durch körperliche Beschädigung an Menschen, die Ihre Freiheit (noch) nicht ausüben können nicht mehr gegeben.
Anmerkung:
Die Charta kann im Wortlaut an der unter den Zitaten angegebenen Link als PDF herunter geladen werden.

Neben der EU-Charta ist international noch die UN-Menschenrechtscharta.
Zur körperliche Unversehrtheit direkt wird in der Charta michts geschrieben, aber in Abwandlung kann man den Artikel 3 sehen:

Artikel 3
Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.

(Quelle: United Nations – Universal Declaration of Human Rights)

Das Recht auf Freiheit impliziert aber auch, das diese Freiheit dem „Menschen“ nicht schon im Vorfeld genommen wird.
Zum Thema Religionsfreiheit heißt es in der UN-Menschenrechtscharta:

Artikel 18
Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht schließt die Freiheit ein, seine Religion oder seine Weltanschauung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu bekennen.

(Quelle: United Nations – Universal Declaration of Human Rights)

Dieser Artikel ist analog zum entsprechenden Artikel der EU-Charta zu sehen. Es wird hier auch wieder eindeutig das Individualrecht geschützt und nicht das Recht einer Gemeinschaft.
Gerade da Israel als Volk sich auf den „Völkerbund“ von Abraham mit Gott beziehen könnten haben die UN-Menschenrechtscharta als UN/UNO Mitgliedsstaat anerkannt. Dies bedeutet, das Sie die Individualrechte der Menschen somit anerkannt haben.
Von daher sind für mich persönlich sachliche Gründe gegen das Urteil nicht verständlich.

Als Fazit sehe ich auch bei einer internationalen Betrachtung kein Grund, dass die Religionsgemeinschaften sich aus „religiösen“ Gründen gegen das Urteil empören.

Links:

– Zentralrat der Juden: Zum Urteil des Kölner Landgerichts zur Beschneidung von Jungen
– Cédric Poyet: „Die Beschneidung im Islam“, Referat gehalten von Cédric Poyet
– Focus: Beschneidung bremst Viren
– WHO: WHO and UNAIDS announce recommendations from expert consultation on male circumcision for HIV prevention
– Stern: Beschneidung soll vor HIV schützen

– Spiegel: Landgericht Köln | Beschneidung aus religiösen Gründen ist strafbar
– Welt Online: Gericht verurteilt Beschneidung als Körperverletzung
– Financial Times Deutschland: Gericht stellt religiöse Beschneidung unter Strafe
– Legal Tribune: Religiöse Beschneidungen von Jungen verboten
– Spiegel: Muslime fühlen sich kriminalisiert
– Spiegel: Bischöfe kritisieren Urteil gegen Beschneidungen
– Spiegel: Westerwelle kritisiert Urteil gegen Beschneidungen
– haGalil: Das Kölner Urteil
– Chajms Sicht: Klares Signal
– JudenTUN: Schon gehört? Juni III (erster Abschnitt)
– Skydaddy’s Blog: WHO spricht sich gegen Beschneidung von Säuglingen und Kindern aus

Artikel als eBook zum Download:
Ein Urteil des Kölner Landgericht und eine Horde aufgeregter Religionsfunktionäre

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6 Antworten auf Ein Urteil des Kölner Landgericht und eine Horde aufgeregter Religionsfunktionäre

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